Wenn ein Lieblingsmensch stirbt und meine Welt zusammenbricht, ist mein erster Impuls, Schutz zu suchen. Bei anderen Lieblingsmenschen. Bei meinem Inner Circle. Ich möchte eigentlich nur noch wenige Menschen um mich herumhaben. Und vor allem nur Menschen, die mich kennen und genau wissen, was ich jetzt brauche und was mir in meiner Trauer und meinem Abschiedsschmerz gut tut.
Ich muss mich outen, damit die Abschiedsfeier so lebensnah wie möglich wird
Doch wenn ich nach dem Tod eines Lieblingsmenschen für das Organisatorische verantwortlich bin, kann ich mich nicht einigeln, sondern muss mich rausbegeben. Rückzug und Bettdecke über dem Kopf ist nicht. Immer wieder muss ich ins Außen. Immer wieder bin mit fremden Menschen konfrontiert. Immer wieder muss ich jetzt mit Menschen, die mich und meine Lebenssituation gar nicht kennen, zutiefst persönliche Dinge besprechen.
Als queer lebender Mensch kann ich im Alltag oft selbstbestimmt entscheiden, wem gegenüber ich mich bewusst oute und mitteile, dass ich in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung lebe. Aber bei der Organisation der Bestattung MUSS ich es offenlegen, um beispielsweise persönliche Verhältnisse klarzustellen oder im Gespräch mit Trauerredner:innen gemeinsam eine Lebens- bzw. Trauerrede zu ermöglichen. Das braucht Vertrauen.
Ich brauche queerfreundliche Bestatter:innen, Trauerbegleiter:innen und Trauerredner:innen in meiner Nähe
Die Wahl des:der Bestatter:in erfolgt leider noch oft über die Googlesuche. Wer dahintersteckt, wie gearbeitet wird und mit welcher Haltung, Offenheit bzw. Nichtoffenheit gearbeitet wird, ist über die Website oft gar nicht so schnell ersichtlich. In der Krise erst recht nicht. Man:Frau entscheidet dann immer ein bisschen blind. Meistens wird das Bestattungshaus in der Nähe gewählt. Es ist Glückssache, ob es dann gut passt.
Wer von Diskriminierung betroffen ist, sollte sich nicht auf das Glück verlassen, sondern rechtzeitig hingucken, wer im Fall der Fälle ein:e gute:r Begleiter:in sein kann. Denn: Wenn der:die Gestorbene beim Bestatter liegt, liegt er:sie dort. Es ist zwar möglich, den Bestatter zu wechseln, aber das macht in der Situation kaum jemand. Und wenn der:die Bestatter:in nicht queerfreundlich ist, habe ich es als queerer Mensch im Schweren zusätzlich schwer.
Ich möchte meine Liebsten gut versorgt wissen
Ich bin immer wieder schockiert, wenn darüber berichtet wird, wie Krankenhäuser die Verstorbenen den Bestatter:innen übergeben – noch mit venösen Zugängen, nicht oder schlecht versorgt. Eine achtsame Versorgung ist also leider nicht selbstverständlich. Mit diesem Wissen bin ich als von Diskriminierung betroffener Mensch besonders sensitiv.
Ich möchte immer sicher sein können, dass es einen achtsamen Umgang mit gestorbenen Körpern gibt. Wenn ein:e Freund:in beispielsweise transgender ist, und ich weiß, dass das Körperlich ein wichtiges Lebensthema war, erst recht.
Ich brauche einen Schutzraum für die offene Kommunikation
In der LGBTQIA+-Community ist das Thema Outing oft mit schmerzhaften Erfahrungen verbunden: Zurückweisung, unbeholfene Kommentare und plötzlich ein anderes Verhalten vom Gegenüber. Das schmerzt sowieso und immer. Auch wenn es einem gut geht, belastet das – aber eben besonders in einer Situation, in der man sich in einem emotionalen Ausnahmezustand wie im Trauerfall befindet.
Ich möchte sprachlich achtsam begleitet werden
Im Entwurf der Traueranzeige für meinen Vater gab es einen Namensdreher. Der Mann meines Bruders stand plötzlich mit mir in einer Zeile und mein Bruder mit meiner damaligen Frau. Der Bestatter konnte sich beim Schreiben nicht vorstellen, dass zwei gleichgeschlechtliche Ehen richtig waren. Es war ihm unangenehm, er meinte es nicht böse. Wir konnten es mit Humor nehmen, weil wir sehr offen damit umgehen. Aber ich muss direkt an die denken, die das nicht können und für die es schwierig ist, offen queer zu leben.
Ich bin froh, dass es auch für die Zeit um Tod und Trauer sehr sensible Begleiter:innen gibt
Gerade für diese Menschen ist es wichtig zu wissen, dass es auch für die Zeit um Tod und Trauer sehr sensible Begleiter:innen gibt. Zum Beispiel Kira Littwin. Sie ist ganzheitliche Trauerbegleiterin – vom Sterbeprozess über die Bestattung bis zur Trauer nach dem Tod. Sie öffnet sprachlich Räume, in dem sie am Anfang immer fragt, ob die zugehörigen Lebenspartner:innen der Gestorbenen sind. Allein die Möglichkeit in den Raum zu stellen, signalisiert eine große Offenheit und schafft Vertrauen.
Trauerrednerin Amara Sonnenberg begleitet bewusst queere Menschen und polyamore Beziehungen. Es ist ihr eine Herzensangelegenheit, dem Leben in seiner Vielfalt und Vielschichtigkeit einen Raum zu geben. Das gelebte Leben sollte in der letzten Rede nicht weggeredet oder verschwiegen werden, nur weil die Nachbarn auf der Beerdigung nicht nochmal laut hören sollen, dass Vincent mit Peter zusammen alt werden wollte.
Mein Wunsch zum Pride Month
Leider ist es noch nicht selbstverständlich, dass jede:r, der:die queer lebt, es auch ganz leicht aussprechen kann. Ich wünsche mir für die LGBTQIA+ Community, dass es auch im Umgang mit Abschied, Tod und Trauer eine Offenheit für die Vielfalt der Lebensmodelle gibt. Ein sensibler Umgang und eine achtsame Kommunikation mit Trauernden – das schafft Räume des Vertrauens und der Sicherheit. Solche Begegnungs- und Schutzräume sind wichtig, damit von Diskriminierung Betroffene nicht noch mehr ausgegrenzt und verletzt werden – erst recht nicht in einer der schwersten Lebenskrisen, der Begegnung mit dem Tod.
Über die Autorin
Anne Kriesel
Gründerin von Bohana