Familientrauerbegleitung macht Sinn

Familientrauerbegleitung

Familientrauerbegleitung macht Sinn…

… und gibt Kindern und Eltern ein Gefühl der Sicherheit

Davon bin ich voll und ganz überzeugt und merke es immer wieder in meiner Arbeit mit einzelnen Personen und Familien. In diesem Text möchte ich von einer wunderschönen Begleitung berichten, die ich vor einigen Monaten in einer Familie erlebt habe. Die Mama zweier Mädchen kontaktierte mich mit dem Wunsch nach Trauerbegleitung für ihre knapp achtjährige Tochter. Sie hatte meine Daten von einer Lehrerin bekommen, die zufällig wusste, was ich mache.

Ihre Mutter, also die Oma der Mädchen, war ziemlich unerwartet gestorben

Sie lebten alle gemeinsam in einem Mehrgenerationenhaus. Oma und Opa, Tochter und Schwiegersohn und eben die zwei Mädchen, fast acht und zwei Jahre alt. Zwei Hunde komplettierten die Hausgemeinschaft. Die Verstorbene war geplant im Krankenhaus, um sich einer Operation zu unterziehen. Es war alles gut verlaufen und die Entlassung stand für den Folgetag an. Statt der Entlassung kam ein Anruf bei der Tochter der Patientin, dass sie und ihr Bruder bitte ins Krankenhaus kommen sollten. Es stünde schlecht um ihre Mutter und wenn sie sich verabschieden wollten, müsse sie sich bitte auf den Weg machen.

Ein Schock. Eine völlig unerwartete Wendung der Situation

Eine völlig unvorhersehbare Veränderung. Tochter und Sohn fuhren ins Krankenhaus und sahen ihre Mutter das letzte Mal. Sie müssen sich jetzt bitte um einen Bestatter kümmern, wurde ihnen beim Gehen mit auf den Weg gegeben. Die Mutter müsse abgeholt werden. Es war die Zeit des ersten Shutdowns durch die Pandemie, die Maßnahmen und Möglichkeiten also strenger und eigeschränkter. Wer bereits Berührung mit ähnlichen Situationen hatte, hat eine Idee davon, wie es sich vielleicht angefühlt haben könnte.

Ein Mix aus Nichtankommen-der-Informationen, Überforderung, Ohnmacht, Schmerz, Nichtwahrhabenwollen, Wut, Trauer, Taubheit, vielem mehr oder nichts davon. Meist ist es eine Kombination davon, individuell zusammengewürfelt.

Was passiert in solchen Situationen? Genau, das innere System springt in den Notfallmodus und funktioniert erstmal „nur“. So auch die beiden. Raus aus dem Krankenhaus, rein in das nahegelegenste Bestattungsunternehmen. Grobe Planung. Punkt. Wieder zu Hause angekommen, warteten in der einen Familie zwei Kindern, ein Ehemann und ein pflegebedürftiger Vater, in der anderen eine schwangere Frau und ebenfalls zwei Töchter, denen es zu erklären galt, was geschehen war. Dazu die Organisation und der Alltag, den es galt am Laufen zu halten.

Raum für die Trauer schaffen: Für die Kinder da sein, erzählen, zuhören, lesen und malen

Als ich das erste Mal bei der Familie war, wurde ich ganz warm willkommen geheißen. Wir verbrachten die gemeinsame Zeit zu viert. Die Mama mit ihren beiden Töchtern und ich. Wir setzten uns auf den Boden und erzählten darüber, warum ich da bin, sprachen über Gefühle, lasen ein Buch und die Kinder malten etwas. Sie erzählten mir, dass sie für Oma bereits ein Plätzchen im Garten „eingerichtet“ hatten. Oma mochte Rosen soooo gerne, daher hatten sie bereits angemalte Steine für sie zum Rosenbusch gelegt. In meinem Trauerkoffer hatte ich Grabkerzen und die Kinder bemalten jeder eine für Sie.

Wir lasen das Buch „Leni und die Trauerpfützen“ das ich persönlich sehr mag und wirklich gelungen finde. Auf einem Bild ist ein Band mit angeklammerten Fotos von Lenis verstorbenem Hund Frieda. Im Koffer hatte ich ein paar kleine Klammern und fragte die Mädchen, ob das etwas für sie sein könnte. Die Idee wurde gern angenommen und der Plan, Bilder von Oma auszudrucken, um eine Fotoleine zu machen, stand.

Über Troststeine und einen geschützten Rahmen für Gespräche

Wie immer in meinen Begleitungen hatte ich ein Beutelchen mit einer bunten Mischung Halbedelsteinen dabei. Das habe ich als Impuls in meiner Ausbildung zur Trauerbegleiterin mitgenommen und nutze das sehr gern. So suchten sich auch die Drei jede ihren Trost-, Erinnerungs- oder Kraftstein aus. 

Es war bereits beim ersten Besuch ganz berührend für mich zu erleben, wie achtsam und fürsorglich die Mama der Mädchen im Umgang war. Sie hatten Bilder von Oma aufgehängt, ein Bild mit Kerze und frischen Blumen nahe dem Familienesstisch stehen, den Ort bei den Rosen im Garten geschaffen. Sie sprach viel mit ihnen und gab ihnen Raum für Fragen und Gefühle. Sie nahm das gesteigerte Bedürfnis nach Nähe sowie eventuelle Gefühlsausbrüche, die sich an anderer Stelle entluden, wahr und war für die zwei da. Auch für Ihren Vater war sie da, kümmerte sich und übernahm nochmal mehr die Pflege, für die Ihre Mutter vor Ihrem Krankenhausaufenthalt mit gesorgt hatte. Auch für ihn schuf sie den Rahmen, sich zu erinnern und seiner Frau zu gedenken. Auch ihr tat es gut, einen Rahmen für Gespräche zu haben. Wir sprachen darüber, wie Kinder trauern, was sie brauchen könnten und ich bestärkte sie darin, dass sie ganz verbunden mit ihren Töchtern sei und auf ihr Bauchgefühl vertrauen dürfe.

Eigene Ideen und Wünsche für den Abschied von der Oma zulassen

Außerdem sprachen wir über organisatorische Dinge in der nahen Zukunft. An dieser Stelle zeigte sich, dass eine riesige Informationslücke klaffte. Wir unterhielten uns über Möglichkeiten, einen Abschied für die Kinder „nachzuholen“. Es gab den Gedanken, Oma die gemalten Bilder mitzugeben, also in den Sarg zu legen. Es gab Gedanken zu Ballons, die bei der Beerdigung zur Oma in den Himmel steigen könnten und es stand auch der Gedanke, bei der Kremierung anwesend zu sein im Raum.

Ein paar Stunden nach unserem Treffen bekam ich einen Anruf mit dem Wunsch, die Oma bei der Kremierung begleiten zu können. Wir vereinbarten, dass ich beim Bestattungsinstitut nachfragen würde, was in der aktuellen Situation möglich wäre und wie die Bilder der Mädchen zur Oma in den Sarg kämen.

Bestatter – und was doch alles möglich ist, wenn man nachfragt

Leider wurde es ab hier etwas holperig und ich hätte der Familie empathischere Bestatter zur Seite gewünscht. Und die gibt es definitiv. Im Telefonat stieß ich auf ziemliches Unverständnis über diese Gedanken und Wünsche. Beim späteren Rückruf erfuhr ich, dass die Kremierung bereits stattgefunden hatte, sie also weder dabei sein noch die Bilder auf zum Sarg legen konnten.

Die Dame aus dem Bestattungsunternehmen sagte, dass die Bilder in die Schmuckurne gelegt werden könnten, was von der Familie als Alternative angenommen wurde. Allerdings – und das stellte sich dann im nächsten Telefonat mit dem Bestattungsunternehmen heraus – gab es eben diese Schmuck- oder Überurne überhaupt nicht.

Als ich bei der Familie nachfragte, erzählen sie mir, dass sie im ersten Gespräch unmittelbar nach dem Krankenhaus einen Katalog vorgelegt bekommen hätten, um eine Entscheidung darüber zu treffen. Da ihnen kein Modell gefiel fragten sie, was es noch für Alternativen gäbe. Dann könnten Sie eben nur die Aschekapsel nehmen.

Sowas macht mich unfassbar traurig und ich wünschte so sehr, dass eine neutrale und umfangreiche Aufklärung aller Möglichkeiten normal wäre… Und die gibt es. Es kann zum Beispiel gebastelt, gefilzt oder gebaut werden.

Urne aus Holz selbst bauen – ja, das geht!

Als wir darüber sprachen, entstand ganz bald eine gute Idee. Das besagte Haus, in dem sie alle zusammenlebten, wurde gerade ausgebaut und bekam ein neues Dach. Das war in der Hand des Schwiegersohns der Verstorbenen, welchen ebenfalls so wunderbar für seine Familie den Rahmen hielt und da war. Während des Gesprächs über Alternativen zu den „klassischen“ Urnen entstand der Gedanke, aus genau diesem Holz eine Schmuckurne zu bauen. Gesagt – getan. Der Papa der Mädchen baute sie nach den Maßen und Vorgaben des Bestattungsinstituts. Die Kinder, Opa, eben alle bemalten und beschrieben sie.

Das war nur eins von vielen berührenden Erlebnissen. Ebenso war es so schön zu erleben, wie die Mädchen bei einem späteren Besuch mit meinem Säckchen loszogen, damit auch Opa sich seinen Troststein aussuchen konnte oder wie die Gedanken zur Beerdigung und zur Trauerfeier reifen konnten und die Angst davor und das Unbehagen weniger werden konnte. Es war so schön zu erleben, wie gute Freundinnen der Familie da waren, Erinnerungsschmuck bastelten und Troststofftiere für die Kinder nähten. Oder zu sehen, wie die Zweijährige auf meine Klangschale reagierte, weil sie das von Oma kannte, die unter anderem Klangschalen-Therapeutin war.

Eine einfühlsame Trauerbegleitung spricht alle Sinne an

Ich mache in meinen Begleitungen gern Meditationen oder Fantasiereisen. So auch in dieser Familie. Weil vorher mehrmals gesagt wurde, dass Oma so gerne Rosen mochte, habe ich es mit einer Duftölmischung verbunden. Es war eine Mischung aus Rosenöl – für Omas Rosen, Lavendelöl für Beruhigung und etwas Orangenöl – weil es sich etwas aufhellend auf das Gemüt auswirken soll, darin. Die Mama und die große Tochter hatten schöne innere Bilder und auch die Kleine lag die ganze Zeit an ihre Mama angekuschelt dabei. Ein wunderschöner Moment. Das Fläschchen mit dem Öl habe ich auch zur Beerdigung mitgebracht. Es tat ihnen gut und auch Opa bekam es von seiner Tochter an die Stirn und zum Riechen.

Familientrauerbegleitung bei der Bestattung – nicht nur für Kinder eine Bereicherung

Bevor die Urnenbeisetzung begann, drehten der Papa, die Mädchen und ich eine Runde über den Friedhof, ein ganz kleiner, mitten im Wald. Wir schauten uns um und kamen so auch an der Stelle vorbei, wo Oma wenige Minuten später ihren Platz bekommen würde. Wir konnten so schon mal einen Blick auf die Stelle werfen, was glaube ich guttat.

Während der Verabschiedung blieb ich bei der Achtjährigen. Der Sohn der Verstorbenen hielt eine wunderschöne und berührende Rede, die Ballons mit denen später gute Wünsche zur Oma in den Himmel geschickt werden sollten, flatterten im Hintergrund. Ein Gast nach dem anderen traten an die Gruft, verabschiedeten sich, ließen einige Blüten hineinfallen. Meine kleine Begleiterin schien sich sehr unwohl damit zu fühlen und wollte nicht nach vorne. Ich fragte sie, ob ich vielleicht erstmal allein schauen und ihr ein Foto machen und zeigen sollte. Die Idee fand sie gut und so wollte sie dann, als sie die Gruppe der Trauergäste etwas lockerte gern doch noch selbst zum Grab der Oma gehen.

Die Sonne schien und der Himmel war strahlend blau. Perfektes Wetter, um die zahlreichen roten und weißen Ballons mit Zetteln voller lieber Worte, in den Himmel steigen lassen zu können.
Wie vereinbart machte ich Fotos davon. Auch Fotos von der Familie. Einige Gäste fanden es anfangs befremdlich Fotos auf einer Beerdigung zu machen. Ich finde das gut, denn so hat an auch von diesem letzten Tag bleibende Erinnerungen in Form von Bildern und Videos. Total schön war, dass im Nachgang die Idee mit den Bildern so gut ankam, dass ein Onlinealbum für alle Gäste zur Verfügung gestellt wurde.

„…Uns hat das wirklich viel gebracht!“

Am Abend der Beerdigung kam ein so zauberhaftes Feedback. Einen kleinen Auszug davon möchte ich hier teilen: „…Uns hat das wirklich viel gebracht! Diese Gedanken, Emotionen, Bilder, einfach alles zu ordnen und irgendwie „unter zu bringen“. Es war schön, diese Sicherheit, dich an der Seite zu haben. Kleinigkeiten wie das Öl. Papa wollte es den ganzen Tag über noch auf der Stirn haben. Das tat ihm so gut. Er wollte es zum Schlafengehen nochmal… Dieser eigentlich „merkwürdige“ Ort wurde durch all die Kleinigkeiten wie die Überurne, die Ballons usw. so persönlich und nah. Das hätte ich nicht gedacht…“. Das berührt mich sehr, denn ich finde, genau so soll es sein.

In stürmischen Zeiten brauchen trauernde Menschen Begleiter an ihrer Seite, die im Außen die Segel halten und sie etwas abschirmen.

Denn nur so kann etwas Ruhe reinkommen. Ruhe, die es braucht, um hinzuspüren und herauszufinden was es gerade dran ist und guttun könnte. Um spüren zu können, was man sich wünscht und wie man seinen geliebten Menschen verabschieden möchte, besonders wenn es vorab noch nicht klar festgelegt wurde. Außerdem braucht es, meiner Meinung nach, eine kompetente, neutrale und umfassende Aufklärung. Denn nur, wenn man um alle Möglichkeiten weiß, kann man die für sich passende wählen. Nur so kann man tragfähige und selbstbestimmte Entscheidungen treffen. Denn genau die sind es, die einen „guten“ Abschied und ein „gutes“ Ankommen im neuen Leben möglich machen. Ich bin immer wieder von Herzen dankbar, Familien in ihren mitunter herausforderndsten Zeiten begleiten zu dürfen. Es berührt mich sehr, in dieser sensiblen Zeit an ihren Seiten sein zu dürfen und zu erleben, wie sich Schockstarren auflösen und ein Prozess der Verarbeitung und Integration in Fluss kommen kann. Ich bin ebenfalls von Herzen dankbar dafür, dass es eine Veränderung in der Haltung und in der Wahrnehmung zu den Themen Sterben, Tod, Trauer und Abschied geben darf. Das ist gut und wichtig. Irgendwann für uns alle.


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Petri

Titelbild: Holm Bieräugel
Trauerbegleitung
Text und weitere Bilder: Betty Petri
Trauerbegleiterin I www.begleitet-weiter.de