Zwischen Suppe und Kartoffel spricht man nicht über den Tod

Judith Kolschen

Warum nicht in einer entspannten Situation ohne konkreten Anlass?

Doch, manchmal passt ein Gespräch zum Beispiel über die eigene Beerdigung eben genau zwischen Vor- und Hauptspeise. Warum sollten wir nicht am Esstisch über so etwas Ernstes wie Tod und Sterben sprechen?! Hier teilen sich die Meinungen: „Geht gar nicht, verdirbt einem ja den Appetit“ oder: „Warum nicht in einer entspannten Situation ohne konkreten Anlass?“ Beides darf sein, finde ich.

Ich gehöre allerdings eindeutig zu der zweiten Fraktion. Schon sehr lange ist Hospizarbeit ein wichtiger Teil meines Lebens. Da bleibt die Auseinandersetzung mit sich selbst bezüglich der Themen Tod und Trauer gar nicht aus. Ist auch gut so. Und ich würde sogar sagen, es bereichert mich immer wieder. Ich lebe ausgesprochen gern, habe schon sehr viel Gutes und Schönes erlebt, bin gesund und munter. Und mit dem Bewusstsein um die Endlichkeit des Lebens war ich mitunter auch schon ziemlich entscheidungsfreudig.

Ich stelle mir öfter die Frage: Was würde ich bereuen, nicht getan zu haben, wenn ich auf dem Sterbebett liege?

Dieses Jahr habe ich mir meinen Sarg bestellt bzw. tischlern lassen. Zugegeben – eine ziemlich noble Variante. Aber er soll ja auch noch lange herumstehen bei mir. Als Sargmöbel, um genau zu sein. Unser Esszimmertisch, an dem wir sitzen und essen, trinken, spielen, diskutieren – dieser Tisch wird irgendwann mein Sarg sein.

Wenn alles gut läuft, können wir sozusagen noch vielleicht drei bis vier Jahrzehnte lang für Rotweinränder und ordentlich Gebrauchsspuren sorgen in meinem Second-Hand-Sarg. Wenn ich sterbe, wird der Tisch auseinandergebaut und die Einzelteile ergeben meinen Kremationssarg, in dem ich aufgebahrt werden möchte. Die Tischbeine dienen zur Abschiedsfeier als Leuchter. Sie werden nicht mit verbrannt, sondern werden vererbt an die vier Kinder, die ich geboren habe, wenn sie die denn haben möchten.

Die Anleitung zum Aufbau ist in Einzelschritten abfotografiert und liegt sicher verwahrt im Tisch verbaut, für den Fall, dass ich steinalt werde und keiner mehr weiß, wie das nochmal genau war…

Schon lange beschäftige ich mich mit dem Gedanken, mir zu Lebzeiten mein Sargmöbel zu bauen oder bauen zu lassen

Ich bin seit 22 Jahren aktiv in der Hospizarbeit. Vor 10 Jahren hatten wir eine Ausstellung organisiert zum Thema „Abschied selbst gestalten“. Da war unter anderem ein Sarg als Bücherregal zu sehen. Doch meine Idee, das auch für mich umzusetzen war bei meiner Familie zunächst auf Skepsis gestoßen, um ehrlich zu sein: Sie haben mich für bekloppt erklärt …

Nun ja, manchmal brauchen die Dinge Zeit, ich hatte auch so genug andere Pläne und keine Langeweile, aber immer mal wieder habe ich dran gedacht. Dann stand die Renovierung unseres Wohnzimmers an. Und da ich mir schon sehr lange einen größeren Esszimmertisch wünsche, habe ich meine Idee ernst genommen und mein Sargmöbel geplant.

Ich bin also los zu einem Bestatter in meinem Dorf, der auch noch aktiver Tischler ist – gute Kombi. Auch der hat mich zunächst – sagen wir mal – etwas irritiert angeschaut.  Aber wir sind dran geblieben an der Planung, obwohl ihm die Umsetzung so manche Grübelfalte ins Gesicht gezaubert hat. Was dabei herausgekommen ist, ist auf den Bildern zu sehen. In diesem Moment sitze ich an dem Sargtisch und schreibe den Artikel.

Ich sitze also bei bester Gesundheit täglich an meinem persönlichen, anpackbaren „Memento Mori“

Der Gedanke, dass ich sterbe, macht mir keine Angst. Natürlich wünsche ich mir keine Qualen im Sterbeprozess oder langes Abhängig-Sein von Pflege, ich habe schon meine Ängste. Aber den Tod fürchte ich nicht. Und ich mag den Gedanken, dann in einem Sarg verbrannt zu werden, an dem ich zuvor viele schöne Stunden verbracht habe. Ich nehme sozusagen auch etwas mit auf meine Reise.

Jetzt zählt aber erstmal das Leben, das sich rund um den Tisch abspielt und darüber freue ich mich, es hat mittlerweile auch nichts Beängstigendes mehr für meine Familie. Es war meinem Mann und meinen Kindern wichtig, dass der Tisch nicht wie ein Sarg aussieht. Irgendwie hatte sich – glaube ich – so eine düster-morbide Dracula-Vorstellung entwickelt.

Doch ich finde, sowohl der Bestatter und Tischler als auch der Metallbauer, der die Tischbeine gefertigt hat, haben wirklich eine super Arbeit geleistet: Wir haben einen richtig schicken und auch nachhaltig durchdachten Tisch. Beide sind ortsansässige Handwerker. Lokale Firmen zu unterstützen, finde ich wichtig. Und gerade beim Thema Bestattung zählen persönlicher Kontakt und Vertrauen für mich mehr als alles andere.

Es gab sehr unterschiedliche Reaktionen auf meinen Sargtisch

Von großer Begeisterung und dem Wunsch, das für sich auch zu machen bis „Gruselig, da möchte ich gar nicht dran sitzen“, war alles dabei.

Fast immer hat es Nachdenken ausgelöst, oft auch Diskussionen im jeweils eigenen Umfeld. Kann ja nicht schaden.

Es gab den Hinweis in einer Email, dass Rabbiner in dem Tisch, an dem sie ihre Lehre verbreiten, auch die eigenen Sargbretter verbaut haben. Das wusste ich gar nicht.

Recht häufig kamen Sätze wie: „Dann ist ja auch der Tisch noch weg!“ oder „Da tut sich ja eine riesige Lücke im Wohnzimmer auf?“ „Ich hänge zu sehr an meinen Möbeln“, war auch eine Reaktion. Das hat mich verwundert, dass die Lücke durch ein fehlendes Möbelstück offensichtlich schon bei der Vorstellung eine so deutliche Verlustreaktion auslöst.

 

Eines Tages werden sich meine engsten Familienmitglieder aufmachen müssen, um die Gemeinschaft an einem anderen Tisch wieder zu ermöglichen. Wahrscheinlich wird die Lücke wehtun. Und sie anders neu zu füllen, wird sich komisch anfühlen. So ist Trauer.

 

Letztlich symbolisiert der Tisch auch: Nix dauert ewig. Und bevor es vorbei ist: Carpe diem! In diesem Sinne wünsche ich allen genau heute einen richtig guten Tag!


Judith Kolschen arbeitet als Heilpraktikerin für Psychotherapie in eigener Praxis. Sie ist Trauerbegleiterin und Trauerrednerin. Ihr besonderes Augenmerk liegt auf der Gestaltung würdiger, individueller Bestattungen oder Lebensfeiern.


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www.judith-kolschen.de