Das Hawaiianische Vergebungsritual Ho‘oponopono

Impuls für die Trauerbegleitung

Vergebungsritual Hawaii

Ho’oponopono ist ein hawaiianisches Wort, das übersetzt Vergebung bedeutet. Zugegeben, es klingt hawaiianisch ausgesprochen sehr viel schöner. Was aber in allen Sprachen dieser Welt gleich ist, ist Vergebung zu erkennen oder anzunehmen. Denn das fällt vielen Menschen schwer. Wir alle haben Situationen, die nach Vergebung, nach Entschuldigung verlangen. Ein „Entschuldigung“, wenn man jemandem versehentlich auf den Fuß getreten ist, ist schnell daher gesagt. Aber was ist mit Erlebnissen, die uns viel mehr – aber nicht unbedingt sichtbar – verletzt haben? Erlebnisse, die unsere Seele so sehr schmerzen lassen, dass sie uns nicht schlafen lassen und nachhaltig ganz viele negative und belastende Gefühle in uns hervorrufen. Irgendwann, wenn eine persönliche „Versöhnung“ nach dem Tod eines Menschen nicht mehr möglich ist, ploppen diese Sorgen wieder auf, sind auch unterschwellig immer in einem.

Bestatterin und Trauerrednerin Melanie Böckenholt geht es um das Annehmen und Hinterfragen

Ich war eine von denen, auf die man es „abgesehen“ hatte. Ich war in einer Spirale gefangen, aus der ich keinen Ausweg fand. Mich machte die Situation wütend und hilflos. Ich hatte Angst vor erneuten Begegnungen mit XY. Als meine Therapeutin mir damals von dem Vergebungsritual Ho’oponopono erzählte, war mein erster Gedanke: Was soll ich damit? Ich muss mich doch nicht entschuldigen, sondern derjenige, der mir über so einen langen Zeitraum weh getan hat. Der, der mich fast zum kleinen Mäuschen hat werden lassen. Durch viele Gespräche und viel Nachdenken ist mir die Situation klarer geworden. Warum handelte diese Person so? Lag es wirklich an mir? Was habe ich falsch gemacht? Der Systemfehler lag nicht bei mir, dass zeigte sich sehr schnell. Diese Person hatte ein Problem mit meinem Handeln. Dies ohne Vorwürfe zu erkennen – auch wenn das nicht ganz einfach war – wurde für mich der richtige Weg. Vergessen habe ich all das nicht, was ich erleben musste. Aber ich versuche zu vergeben. Das war mein Weg, mich anders zu fühlen. Seitdem ich Ho’oponopono kenne, gehe ich selbst behutsamer mit meinem Handeln um.

Ach, hätte ich ihm oder ihr doch noch gesagt, dass …

Das Wissen um die Wirkung des hawaiianischen Vergebungsrituals hilft Melanie Böckenholt auch bei ihrer Arbeit als Trauerrednerin und Bestatterin. In Trauergesprächen erlebt sie es immer wieder, dass es Unausgesprochenes gibt, dass den Zugehörigen auf der Seele liegt. Sie hätten den Verstorbenen noch so viel sagen oder sich für etwas entschuldigen wollen, aber die können es ja nun nicht mehr hören. Sie würden gern ihren Frieden machen und den Konflikt oder das Missverständnis aus der Welt schaffen. Gemeinsam schauen wir nach Möglichkeiten, wie sich ein Weg finden lässt, damit umzugehen. Oft hilft ein Perspektivwechsel, um die Haltung des Gegenübers zu verstehen und ihm zu vergeben. In welcher Zeit ist die Person aufgewachsen? Was hat sie alles durchmachen müssen? Warum ist sie so geworden, wie sie war? Warum hat sie so gehandelt?

Auch ein individuell gestaltetes Abschiedsritual kann Angehörige dabei unterstützen, sich selbst oder den Verstorbenen zu vergeben. Ein persönlicher Brief als Sarg- oder Grabbeigabe kann helfen, sich den Kummer von der Seele zu schreiben, ohne Vorwürfe zu machen. Manchmal reicht es auch, ungeklärte Dinge offen auszusprechen – im Trauergespräch mit mir oder innerhalb der Familie.

„Mein Ziel ist es, jederzeit gut gehen zu können. Doch das gelingt nur, wenn ich in meinen Beziehungen klar bin. Dann können die einen gut gehen und die anderen gut bleiben. Ich finde es nahezu absurd zu glauben, dass man zum Teil jahrelang bestehende familiäre Konflikte plötzlich auf dem Sterbebett klären und lösen kann. Und manchmal ist es vielleicht auch nicht fair mit dem Wunsch als Bleibende:r am Sterbebett zu sitzen, wenn es im Hier und Jetzt nicht möglich war sich zu klären.

Das Vergebungsritual Ho’oponopono kann man übrigens auch jederzeit nach dem Tod eines geliebten Menschen für sich allein durchführen.“

Anne Kriesel – Bohana-Gründerin

Trauerbegleiterin Silke Fiehn über ihre Erfahrungen mit Ho‘oponopono

Ich bin durch eine Freundin auf das traditionelle Verfahren der Hawaiianer zur Aussöhnung und Vergebung gekommen. Auch nach meinem Ho’oponopono-Seminar bei Ulrich Dupree war ich noch  relativ skeptisch, ob sich mit diesem hawaiianischen Brauch ein Konflikt lösen und „in Ordnung bringen“ lässt. Das Seminar hat mir gut gefallen, doch ich habe noch nicht wirklich erleben können, wie meine Gedanken an eine andere Person tatsächlich Änderungen bewirken können.

Manchmal ist es zu spät, um selbst noch etwas zu klären

In den letzten beiden Wochen vor seinem Tod war mein Vater nicht mehr in der Lage zu sprechen. Sein Geist war verwirrt. Er machte allerdings immer wieder den Versuch etwas anzusprechen. Es ging um Geld, aber ich verstand nicht genau, was er mir sagen wollte. Das Thema schien ihn sehr zu belasten. Als er starb, sah sein Gesicht leider nicht entspannt, sondern eher gequält aus.

Kurz nach der Beisetzung habe ich auch verstanden warum. Mein Vater hatte meiner Schwester und mir –  auch nach der Scheidung von unserer Mutter – versichert, dass wir einmal unser Elternhaus erben würden. Laut Testament war nun seine zweite Frau die Alleinerbin. Etwas weiter hinten war zwar vermerkt, dass es sein Wunsch sei, dass seine Kinder das Haus erben, aber an dieser Stelle des Testamentes hatte es gar keine rechtliche Bedeutung. Meine Schwester und ich waren sehr enttäuscht und wütend, dass unser Vater nie mit uns darüber gesprochen hat – weder über seine Beweggründe noch über die Testamentsänderung. Da kam mir Ho‘oponopono in den Sinn. Ich könnte jetzt für den Rest meines Lebens wütend sein und Rachegelüste für seine zweite Ehefrau hegen. Doch was würde mir das bringen? Ich hatte weder Lust auf einen Rechtstreit noch wollte ich meine Energie auf etwas verwenden, was mich nicht weiterbringt.

„Bitte verzeihe mir. Es tut mir leid. Ich liebe dich. Danke“.

Ich habe dann das hawaiianischen Vergebungsritual durchgeführt und die vier Sätze gesagt. Habe sie aber nicht nur so daher gesprochen, sondern in Ruhe und mit Bedacht habe ich sowohl ihm als auch ihr vergeben. Mein Glück hängt nicht an dem Erbe. Mein Glück finde ich in mir. Und dass mein Vater es letztlich nicht mehr geschafft hat, diese Dinge mit mir zu klären, ist sehr traurig. Er war aber zum Schluss einfach nicht mehr in der Lage dazu. Ich habe ihm Frieden gewünscht. Auch ich habe meinen Frieden damit gemacht. Zu seiner Witwe habe ich keinen Kontakt, aber es arbeitet nicht mehr in mir.

Auch in der Trauerbegleitung kommen oft ungeklärte Konflikte zutage

Als Trauerbegleiterin höre ich oft ähnliche Familiengeschichten, bei denen etwas verschwiegen oder vor dem Tod nicht mehr geklärt wurde. Was bleibt, sind negative Gefühle wie Ohnmacht, Wut etc. Denn die Person, mit der man das Problem hätte lösen können, ist nicht mehr da. Doch zu einem Konflikt gehören immer mindestens zwei. Jeder hat einen Anteil an der Situation und jeder trägt die Verantwortung für das eigene Handeln oder Nicht-Handeln. Da mich das Verhalten meines Vaters und seiner zweiten Ehefrau so sehr getriggert hat, muss es etwas mit mir und meinem Leben zu tun haben. Denn sonst würde es mich nicht so berühren. Es ist meine Aufgabe, die Verantwortung für meinen Part zu übernehmen und zu schauen, wie ich das störende Problem – in mir – lösen kann. Der erste Schritt ist, mich ohne Wertung in die Lage des anderen zu versetzen und zu versuchen, ihn oder sie zu verstehen. Ich versuche, Mitgefühl mit mir und den anderen zu entwickeln. Und indem ich mir und den anderen vergebe, fällt es mir leichter loszulassen. Ho‘oponopono!