Gesundheitliche Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase
– so nennt sich mein Beratungsauftrag, den ich seit über zwei Jahren im Seniorenzentrum Haus Rosental in Bonn wahrnehme. So sperrig die Bezeichnung selbst ist, so sehr trägt die Sache, um die es geht dazu bei, Barrieren abzubauen und eine offene Kommunikation über Wünsche am Lebensende zu fördern. Ende 2017 wurden mit dem Paragrafen 132g Abs.3 SGB V die gesetzliche Rahmenbedingung geschaffen, dass Seniorenheime und stationäre Einrichtungen der Behindertenhilfe ihren Bewohnerinnen und deren Angehörigen eine entsprechende Beratung anbieten können. Die Finanzierung der Beratungsleistungen erfolgt durch die gesetzlichen Krankenkassen. Die flächendeckende Umsetzung der Versorgungsplanung steht noch am Anfang und ist regional sehr unterschiedlich gut entwickelt.
Alles geregelt?
In den letzten Jahren gibt es zunehmend mehr Menschen, die bereits eine Patientenverfügung mitbringen, wenn sie zu uns in die Einrichtung kommen. Dies ist auf jeden Fall eine positive Entwicklung und gemeinhin denkt man, damit sei alles geregelt.
Bei der Durchsicht der mitgebrachten Patientenverfügungen stellt man jedoch sehr häufig Schwachstellen fest, die dann ggf. im Notfall zur Infragestellung der Verfügung führen können. Oftmals sind die Formulierungen sehr allgemein gehalten, aber auch detailliertere Exemplare sind nicht unbedingt auf die aktuelle Situation beziehbar. Das ist nicht verwunderlich, denn meist wurden sie in „besseren Tagen“ verfasst und niemand kann alle Eventualitäten bedenken. Grundsätzlich steht daher die Frage im Raum, ob das früher Verfügte auch für die aktuelle Lebenslage noch Gültigkeit hat. Und wie ist es mit Situationen, die nicht absehbar sind, sondern unerwartet einen kritischen Allgemeinzustand auslösen?
Was tun im Notfall?
Für die letzte Fragestellung gibt es bei uns, aber auch zunehmend in anderen Heimen als Ergänzung zu einer Patientenverfügung eine sogenannte Notfallplanung. Hierin werden „nur“ die grundlegenden Dinge festgehalten, die schnell auf einen Blick erkennbar sein sollen, wie z.B. Reanimation ja / nein, Intensivtherapie ja /nein, ausschließlich palliative Maßnahmen usw.
Ein Notfallplan kann auch für die Menschen von großer Bedeutung sein, die keine Patientenverfügung verfasst haben und aufgrund ihrer kognitiven Einschränkungen, wie beispielsweise einer fortgeschrittenen Demenz, nicht mehr dazu in der Lage sind. Dann wird in gemeinsamen Gesprächen der mutmaßliche Wille ermittelt werden und der gesetzliche Vertreter kann in Rücksprache mit dem Hausarzt auf diesem Weg Vorsorge treffen.
Im Austausch sein
Es sind vor Allem die gemeinsamen Gespräche, die meine Beratungstätigkeit ausmachen und die wesentlich sind. In erster Linie mit dem Menschen, um den es geht und dessen Bedürfnisse für alle anderen handlungsleitend sein sollten. Mein primäres Ziel ist nicht das Erstellen von entsprechenden Formularen, sondern der gemeinsame Austausch, das Verstehen und Wissen um die Wünsche und Ängste der Bewohner*innen. Die Zusammensetzung dabei ist unterschiedlich: Fast immer ist es wichtig, die Angehörigen einzubinden. Manchmal ist eine Erläuterung durch die Hausärztin und die Teilnahme der Bezugspflegerin hilfreich. Manchmal bedarf es aber auch einer größeren Runde, besonders, wenn es um den mutmaßlichen Willen geht, um Erfahrungen zu erörtern und Einschätzungen zu finden. Die Frage nach der Lebensqualität ist zentral. Welche Werte, welche Grundhaltung hat dieser Mensch? Wie steht er zu seinem Leben, was bereitet ihm Freude, was ist ihm wichtig, was möchte er nicht mehr erleben, wie möchte er von dieser Welt gehen?
Wenn ich mich mit den hier lebenden Menschen darüber unterhalte, bekomme ich oft zur Antwort: „Ich möchte in Ruhe / in Frieden / normal sterben.“ Die Möglichkeiten und die damit verbundenen ungewollten Auswirkungen, die unsere heutige Hochleistungsmedizin in sich bergen kann, sind aber oft nur wenigen bewusst.
Den Mitarbeitenden im Haus, aber auch den behandelnden Ärzten ist es eine gute Orientierungshilfe, wenn Aussagen hierzu festgelegt und verschriftlicht sind. Nicht selten erlebe ich, dass Angehörige ein solches offene Gespräch als entlastend erleben. Eine weitere positive Nebenwirkung der Vorsorgeberatung ist meinem Eindruck nach, dass die Kommunikation aller Beteiligten gefördert wird und zu einem stärkeren Miteinander beiträgt.
Was am Ende zählt
Vor einiger Zeit hielt eine Juristin für ehrenamtliche Hospizbegleiterinnen in unserem großen Saal einen Vortrag über Vorsorge. Ein 95-jährige Bewohner, geistig wach und rege, setzte sich in einer Ecke dazu. Am nächsten Tag kam er in mein Büro, um sich vergewissern, dass er die Dinge richtig verstanden hat. Etwas ungläubig fragte er, ob es wirklich so sei, dass sein Wille in der letzten Lebensphase maßgeblich ist.
Nach wie vor geschieht es, dass Menschen in ihrer letzten Lebensphase noch ins Krankenhaus gebracht werden und dann dort in fremder Umgebung oder kurze Zeit später bei uns im Haus versterben. Durch das Hin und her wird ihnen, aber auch den Angehörigen, tatsächlich oftmals kostbare Zeit genommen. Die Gründe sind vielfältig und teils auch systemimmanent und zeigen auf, wie wichtig Beratung und Vorsorge hier sind. Vor diesem Hintergrund wird mich die Frage des alten Mannes und seine berechtigte Skepsis weiter begleiten. Genauso, wie sein Abschied von einem fast 100-jährigen Leben, der so war, wie er es sich gewünscht hatte.
Tabita Urdze ist im Seniorenzentrum Haus Rosental in Bonn tätig und
verantwortlich für die Vorsorgeberatung
Tabita Urdze
Sozialpädagogin und Altenpflegerin