Selbstbestimmung ist kein Privileg, sondern ein Grundrecht!
Patientenverfügung in einfacher Sprache
Eine der meistgenannten Sorgen in Bezug auf das eigene Lebensende ist die Angst vor Kontrollverlust: Die Angst vor Abhängigkeit von anderen Menschen und Systemen, vor der Fremdbestimmung, weil schlussendlich doch nicht alles zu allen Zeiten möglich ist. All dies erschreckt manchen mehr als die eigentliche Erkrankung und ein möglicherweise absehbares Lebensende.
Leben und Sterben mit geistiger Beeinträchtigung
Besonders für Menschen mit Beeinträchtigungen gehört Fremdbestimmung ein Leben lang zu ihrem Alltag. Sie haben meist nur theoretisch Einfluss auf ihren Wohnort, die Mitmenschen in ihrem direkten Umfeld und die Gestaltung ihres Alltags. Die Einschränkungen sind zahlreich und für den „Normalbürger“ häufig nicht offensichtlich. Dies gilt vor allem für Personen mit einer kognitiven Beeinträchtigung. Sich vorzustellen, wie es sich anfühlt, wenn Kommunikation und Sprache beeinträchtigt sind, wenn das Gegenüber einfach nicht versteht, was ich sage, ist viel schwerer in unser Denken zu übertragen. Wenn ich nicht verstehe, was mir mein Gegenüber sagen will, ist es einfacher, dessen Fähigkeit zur Autonomie in Frage zu stellen, als nach anderen Wegen zu suchen. „Können die das überhaupt?“
Dies geschieht meist unter dem Duktus der Fürsorge. Es erscheint fast folgerichtig, dass auch am Lebensende nicht mit den Betroffenen, sondern für bzw. über sie entschieden wird.
Die aus falschverstandenem Wohlwollen getroffenen Entscheidungen entsprechen dabei mehr der eigenen Lebenseinstellung der Betreuungsperson, als dass sie eine intensive und tiefgehende Analyse des Willens des Betroffenen widerspiegeln.
Willensermittlung
Selbstbestimmung ist kein Privileg, sondern ein Grundrecht! Wir stehen vor der großen Herausforderung, Strategien und Instrumente zu finden bzw. zu entwickeln, die es uns ermöglichen, die Punkte und Bereiche zu erkennen, an denen der kognitiv beeinträchtigte Mensch in der Lage ist, autonome Entscheidungen zu treffen.
Und in letzter Konsequenz gilt dies auch für die Zustimmung bzw. Verweigerung lebensverlängernder Maßnahmen und der Äußerung eines Todeswunsches.
Es gilt der frei verantwortete Wille, oder wenn dieser nicht geäußert werden kann, der mutmaßliche Wille.
Bei der Zusammenarbeit von Bonn Lighthouse e.V. mit Einrichtungen der Eingliederungshilfe haben wir häufig die Erfahrung gemacht, dass dieser Personenkreis – frei von normativen Zwängen – sehr nah an seinen authentischen Gefühlen ist und diese auch sehr konkret benennen kann. Auch das Thema „Sterben und Tod“ ist ansprechbar und wird offen diskutiert.
In mehreren Workshops mit Betroffenen zu dem Thema „Vorstellungen und Umgang mit dem eigenen Trauern, Sterben und Tod“ wurden von ihnen klare und recht anschauliche Äußerungen getätigt. Gerade Aspekte zur Lebensqualität wurden deutlich formuliert und beschrieben. Ähnliches galt für die Themenfelder Sterbeort, Krankenhausaufenthalt, Trauerfeier, Beisetzung und Testament. Schwieriger und zeitaufwendiger wurde es bei der Haltung zu medizinischen Maßnahmen mit dem Risiko schwerer gesundheitlicher Schäden oder sogar Lebensbedrohung.
Mehrfach berichteten ehrenamtliche Hospizhelfer in Einrichtungen der Eingliederungshilfe, dass sich im Laufe der Sterbebegleitungen der in Patientenverfügungen geäußerter Wille von der ursprünglich geäußerten Ablehnung hin zu einer Zustimmung für lebensverlängernde Maßnahmen veränderte. Ein Phänomen, welches oftmals auch bei nicht-behinderten Personen auftritt.
Wir fokussieren uns auf das medizinisch Machbare, die Symptomkontrolle und die pflegerische Versorgung. Die psychosoziale und spirituelle Ebene, die ein ganzheitliches Menschenbild ausmachen, wird dabei vernachlässigt. Denn selbst wenn Schmerzen gelindert, Atemnot beherrschbar und die Körperpflege gewährleitet ist, bleibt für die Betroffenen Lebenszeit, die es positiv zu nutzen gilt. Was war/ist mir wichtig? Was tut mir gut? Wen möchte ich um mich haben? Was bedeutet Lebensqualität für mich? Diese Fragen können die meisten Menschen durchaus beantworten.
Häufig wird das „Alltägliche“ in Patientenverfügungen außer Acht gelassen
Wir fokussieren uns auf das medizinisch Machbare, die Symptomkontrolle und die pflegerische Versorgung. Die psychosoziale und spirituelle Ebene, die ein ganzheitliches Menschenbild ausmachen, wird dabei vernachlässigt. Denn selbst wenn Schmerzen gelindert, Atemnot beherrschbar und die Körperpflege gewährleitet ist, bleibt für die Betroffenen Lebenszeit, die es positiv zu nutzen gilt. Was war/ist mir wichtig? Was tut mir gut? Wen möchte ich um mich haben? Was bedeutet Lebensqualität für mich? Diese Fragen können die meisten Menschen durchaus beantworten.
Instrumente
Eine Patientenverfügung, wie wir sie bei Bonn Lighthouse e.V. zusammen mit den Heilpädagogischen Heimen des LVRs, der Lebenshilfe Bonn e.V., dem Therapiezentrum Bonn und dem Förderverein Menschen mit geistiger Behinderung Bonn e.V. entwickelt haben, kann zur Willensermittlung eine wichtige Hilfestellung bieten. Zusätzliche zu den klassischen Themen aus Medizin und Pflege fließen hier auch psychosoziale und spirituelle Aspekte mit ein.
Betreuerteams in den Einrichtungen oder auch die Angehörigen können im Rückblick auf das erlebte Leben wichtige Hinweise liefern. Sie werden nach unseren Erfahrungen viel zu selten von Ärzten und gesetzlichen Betreuern zur Findung, Formulierung und Präzisierung des mutmaßlichen Willens herangezogen. Die Workshops mit Betroffenen (Experten) haben uns gezeigt, dass es vielfach unsere eigenen Ängste sind, die uns davor zurückschrecken lassen, diese Dinge anzusprechen. Dafür braucht es Zeit; Zeit die häufig nicht zur Verfügung steht.
Es soll hier nicht der Eindruck erweckt werden, dass mittels „Patientenverfügung in einfacher Sprache“ jeder Mensch mit kognitiven Einschränkungen einen klar erkennbaren Willen äußern kann. Mit zunehmenden Schweregrad der Beeinträchtigung entzieht sich die Lebenswelt der Betroffenen der Annäherung an unser von Strukturen und Gesetzen geprägtes Denken. Ein Brückenschlag in eine vermutlich völlig anders erlebte Realität ist bei diesem Personenkreis nicht mehr möglich. Dann bedarf es anderer Instrumente, wie z.B. Fallbesprechungen oder ethische Konzile.
Dennoch, jeder noch so kleine Hinweis des Betroffenen bezüglich seiner eigenen Lebensqualität ist eine wichtige Hilfestellung für begleitende Personen und stärkt deren Position gegenüber Entscheidungsträgern, die an diesem Punkt unsicher oder skeptisch hinsichtlich einer autonomen und authentischen Willensäußerung kognitiv eingeschränkter Menschen sind.
Perspektiven
Immer mehr Träger der Eingliederungshilfe befürworten und unterstützen den Wunsch ihrer Bewohner nach Verbleiben in ihrem „zu Hause“ bis zum Tod. Die würdevolle Begleitung eines sterbenden Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung erfordert einen Aufwand, der vielfach weit über das normale Zeitbudget der Einrichtung hinausgeht, zusätzliche finanzielle Mittel und Netzwerkarbeit erfordert.
Weiterhin bleibt es eine gesamtgesellschaftliche und politische Aufgabe und Verantwortung, an dieser Stelle die ethische Diskussion zu führen und zu entscheiden, welchen Stellenwert selbstbestimmtes und würdevolles Leben und Sterben für alle Menschen in unserer Gesellschaft und Kultur tatsächlich hat. Oder einfacher ausgedrückt: Gibt es Inklusion auch am Lebensende? Und: Was darf sie kosten?
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