Ich bin Trauerrednerin – mein Weg
Schon bei meiner ersten Trauerrede war mir klar, dass ich das gerne öfter machen würde. Und das, obwohl es die Beerdigung einer sehr lieben Freundin war. Sie fand ihre letzte Ruhe im Friedwald von Neunkirchen-Seelscheid. Die erwachsenen Söhne hatten sich große Mühe gegeben, den passenden Baum für ihre Mutter zu finden. Groß sollte er sein. Und majestätisch die anderen Bäume dominieren. Dieser Baum wurde gefunden, und er verlangte der Trauergemeinde einiges ab. Denn er stand an einem Abhang, ohne befestigten Weg dorthin. Gerade die älteren Trauernden taten sich sehr schwer, den letzten Ruheplatz zu erreichen. Ich vermute, die Söhne hatten daran gar nicht gedacht. Und so standen die Anwesenden in relativ großem Umkreis um das kleine, geschmückte Loch am Fuß des großen Baumes. Wo man halt einigermaßen gut stehen konnte.
Es hat sich als günstig herausgestellt, dass ich als Schauspielerin eine ausgebildete Stimme habe. Denn an ein Mikrophon hatte keiner gedacht. Ich dachte: Wenn die Herrschaften schon nicht näherkommen können, dann sollen sie wenigstens jedes Wort verstehen. Ich denke, diesem Umstand habe ich zu verdanken, dass ich weiterempfohlen wurde. Und das hat sich bis heute fortgesetzt.
Meine Erfahrungen mit Bestattern
Ich bin mit zwei oder drei Bestattern verbunden; allerdings hat mich diese Seite nur ein Mal angefragt. Wahrscheinlich sind Trauernde mit der Frage, wer eine Rede halten soll, einfach überfordert. Sie nehmen die Angebote der Bestatter in Anspruch und kommen gar nicht auf die Idee, dass Sie den Abschied selbst mitgestalten können, auch hinsichtlich der Rede. Es sei denn, Bestatter weisen auf diese Möglichkeit hin.
Andererseits sind sämtliche Bestatter, mit denen ich bisher zu tun hatte, sehr aufgeschlossen. Und dankbar für mein telefonisches Nachfragen, wie lang die Rede sein darf. Nie hätte ich mir früher gedacht, wie eng getaktet Beerdigungen manchmal stattfinden. Da wirft eine Rede von 35 Minuten schnell den Tagesplan durcheinander. Und wenn mir von Angehörigenseite akustische Verstärkung durch eine Lautsprecheranlage zugesichert wird, heißt das noch lange nicht, dass diese wirklich vorhanden ist.
Besonderer Fall
Bei unserem vorletzten Zoom-Gespräch unter Kolleginnen im Bohana-Netzwerk ging es auch um die Frage, wie man sich verhalten soll, wenn die Angehörigen oder der Verstorbene das Leben aus gänzlich anderer Perspektive betrachten oder betrachtet haben als wir. Motto: Begleite ich auch einen Nazi? Wenige Tage später rief mich der Angehörige eines Verstorbenen an. Ob ich die Trauerrede halten könne; sie sei bereits geschrieben. Ich öffnete die angekündigte Mail. Aber wie erstaunt war ich, eine Rede von sage und schreibe sechs Zeilen zu finden! Bei unserem folgenden Telefonat fragte ich, warum der Verstorbene keine Rückschau auf sein Leben wünsche. Das war nämlich der einzige Inhalt der Rede. Ach, sagte der Angehörige, wie der Verstorbene gelebt hat, wüsste doch jeder, der zum Friedhof käme.
Dann versuchte ich zu erfahren, was für ein Mensch der Verstorbene war.
Und notierte folgende Punkte:
° Hat großes Interesse daran gehabt, anderen zu zeigen, wie gut er finanziell gestellt war.
° Fiel den Menschen schnell ins Wort und fühlte sich immer im Recht.
° Korrigierte ständig auf unangenehme Weise seine Frau, auch vor anderen.
Ich unterbrach den Angehörigen: „Das ist nicht unbedingt das, was man bei einer Trauerfeier hören möchte.“ „Aber er war so“, sagte der Angehörige in sachlichem Ton. „Er hasste Ausländer. War AfD-Wähler. Ein schwieriger Charakter, vom Scheitel bis zu Sohle.“
Das gibt es auch
Ich schlug dann vor, eine Liste von verschiedenen Texten und Gedichten zusammenzustellen. Philosophische Betrachtungen über Leben und Tod. Und versicherte ihm, dass er die freie Wahl hätte, ob er nur drei Gedichte oder alle Texte hören wolle. Ich würde daraus sozusagen einen Strauß binden. Einen Trauerstrauß.
Die Idee fand er sehr gut, wollte das aber noch mit seiner Familie besprechen.
Man entschied sich für ein kleines Zitat von Laotse.
Mit Ach und Krach füllte ich eine DIN A4 Seite; Schriftgröße 14.
Das gibt es also auch, dachte ich. Das gibt es auch.
Angela H. Fischer (1959) hat Schauspiel studiert und schreibt Theater- und Kabarettstücke; mit letzteren war sie auf Tour. Sie hat am Düsseldorfer Kom(m)ödchen und am Millowitsch-Theater gespielt, drei Kinder großgezogen, und arbeitete viele Jahre in der Freien Szene. Vor der Coronakrise spielte sie an der Oper Wuppertal und bei den Frankenfestspielen in Röttingen.