Begleitung und Abschied von Tieren individuell gestalten
Tiere sind so vieles mehr für ihre Menschen als nur Haustiere. Sie sind Familienmitglieder. Sie begleiten uns durch Höhen und Tiefen, sind an unserer Seite, ob es uns gut oder schlecht geht. Sie trösten uns, sie bringen uns zum Lachen, sie schenken uns ihre bedingungslose Liebe.
Und eines Tages verlassen sie uns. Vor dem Abschied vom geliebten Tier fürchten sich Tierhalter:innen sehr. Nur der Gedanke daran, dass die gemeinsame Zeit irgendwann vorbei sein wird, löst Ängste aus. So ist es nur allzu verständlich, dass das Thema Abschied vom Haustier weit weggeschoben wird. So lange, bis es irgendwann akut ist und es keinen Ausweg gibt, als der Tatsache ins Auge zu blicken.
Auch Tiere können alt werden
Je länger uns ein Tier begleitet, desto enger ist in der Regel die Bindung. Wir verstehen uns wortlos, spüren instinktiv, was unser Gefährte braucht und möchte: Das Band zwischen uns ist stark. Ältere Tiere haben auch ihren ganz eigenen Charme: Sie sind ganz bezaubernd, weise, manchmal tollpatschig und vergesslich, in jedem Falle sehr liebenswürdig. Die letzte Lebensphase kann auch anstrengend werden. Die Bedürfnisse des Tieres ändern sich, die Sinne lassen nach, der Alltag richtet sich nach den Gewohnheiten des tierischen Gefährten und seinem Wohlergehen. Für den Halter ist diese Phase des Alterns oft eine emotionale Herausforderung. Wenn Krankheiten und schwere Diagnosen auftauchen, wird uns bewusst, dass der gemeinsame Weg irgendwann zu Ende gehen wird.
Die Last der Entscheidung
Ein Leben vorzeitig zu beenden, weil das Tier leiden könnte oder eine Pflege ab einem bestimmten Punkt dem Tierhalter nicht mehr möglich oder zumutbar ist, ist bei Tieren im europäischen Raum die Norm. So haben wir die Möglichkeit, dem Leben unserer Tiere vorzeitig durch eine Euthanasie ein Ende zu setzen. Dies bringt die Verantwortung über die Entscheidung mit sich, zu welchem Zeitpunkt ein Leben nicht mehr lebenswert ist. Viele Menschen hadern im Nachhinein. Einen Entschluss über Leben und Tod geliebter Familienmitglieder treffen zu müssen, wird oft als große Last empfunden. Und nicht selten werden Halter von ihrem Umfeld oder vom Tierarzt zu dieser Entscheidung gedrängt. Wie können Tierhalter:innen dem besser entgegentreten?
Genau hinzufühlen und zu reflektieren, ist dabei ein ganz wichtiger Schritt, immer und immer wieder. Braucht das Tier wirklich Hilfe? Oder ist es der eigene Schmerz, die eigene Angst, die dem Tier übergestülpt wird? Die Möglichkeit, sich von einem gesellschaftlichen Müssen zu lösen und individuell und bedürfnisorientiert auf das Tier einzugehen, ist noch zu wenig in den Köpfen der Tierhalter:innen verankert.
Sich auf einen Abschied vom Tier vorbereiten – geht das überhaupt?
Solange das Thema Sterben und Tod nicht in unser Leben integriert ist, es zum schwarzen Fleck und tabuisiert wird, wird uns der Verlust eines geliebten Tieres höchstwahrscheinlich schwer treffen. Die Pflege eines alten oder kranken Tieres kann jedoch schon eine sehr gute Vorbereitung sein. Es ist die Gelegenheit, dem Tier zurückzugeben, was wir in guten Zeiten erhalten haben. Das Band zwischen Menschen und Tier ist dabei besonders wichtig. Denn durch die innige Verbindung können wir fühlen, was unser Tier braucht und sich wünscht. Die letzte gemeinsame Zeit mit dem Tier ganz bewusst zu erleben, kann ein großes Geschenk sein. Eine wichtige Rolle spielt dabei die innere Haltung des Menschen: Denn sich auf eine Begleitung am Lebensende einzulassen, ist sehr fordernd und anstrengend.
Einen geschützten Rahmen zu schaffen, in dem die Bedürfnisse eines Tieres am Lebensende im Vordergrund stehen, erfordert Mut und Vertrauen.
- Es ist die Bereitschaft, auszuhalten, wenn es schwierig wird.
- Da zu sein, wenn man am liebsten weglaufen würde.
- Distanz zu wahren, wenn das Tier es braucht, obwohl die eigenen Bedürfnisse anders sind.
- Den Blick nach innen zu richten und die Verbindung zum Tier zu fühlen, wenn Unbeteiligte es besser wissen wollen.Die Bereitschaft, die eigenen Emotionen hinten anzustellen und für unser geliebtes Tier den Raum zu halten, bietet nicht nur großes Wachstumspotential. Es kann sich auch ein Feld von bedingungsloser Liebe, Intimität und Frieden öffnen.
Individuelle Wege zulassen
Die Euthanasie ist ein System, das manchmal Sinn macht. In erster Linie aber hilft sie uns, zu kontrollieren, was wir nicht kontrollieren können. Sie hilft dabei, das Sterben an sich weiter in die Tabu-Ecke zu drängen. Tiere können ihren letzten Weg auch selbst gehen, in dem Tempo, das für sie richtig ist. Tiere wissen intuitiv, wie sterben geht. Sie geben sich dem Sterbeprozess hin und sind ganz im Hier und Jetzt. Das zu erkennen und mitanzusehen, kann befreiend und zugleich erschreckend sein. Befreiend, da wir selten wirklich eine Entscheidung treffen müssen. Warum sollte das Tier nicht selbst entscheiden können? Erschreckend, da wir mit der Endlichkeit konfrontiert sind und tiefe Verlustängste an die Oberfläche kommen können – wenn wir nicht wissen, was während des Sterbeprozesses abläuft.
Vorbereitung ist der Schlüssel, um das Tier bedürfnisorientiert zu begleiten
Wer weiß, wie ein Sterbeprozess vonstattengeht, hat weniger Angst vor dem Unbekannten. Das schafft eine Basis, die Sicherheit gibt und auch als optimale Entscheidungsgrundlage für eine Euthanasie dienen kann. Wissen nimmt Angst. In der Ruhe und im Vertrauen zu sein hilft, Entscheidungen aus dem Herzen zu treffen. Wer es schafft, bei sich zu bleiben und auf die enge emotionale Verbindung zu seinem Tier zu vertrauen, hat die Möglichkeit, die letzte Lebensphase als bereichernd und innig zu erleben. Die bewusste Auseinandersetzung mit dem bevorstehenden Tod des Tieres hilft, sich emotional und mental auf einen Abschied einzulassen. Im Schmerz wie in der Liebe liegt eine große Kraft.
Über die Autorin
Vanessa Reif
Trauerbegleiterin und Sterbebegleiterin