Begleitung in der Demenz

Techniken für die validierende Begleitung in der Demenz

Bedürfnisse in der Pflege

Ergänzend zu ihrem Artikel „Einführung in die Demenz“ stellt Andrea Goldemund nun in diesem Beitrag verschiedene Techniken zur validierenden Begleitung in der Demenz vor:

Jeder Mensch hat grundlegende essenzielle Bedürfnisse, die auch in der letzten Lebensphase erfüllt sein wollen:

  1. sich sicher geliebt und geborgen fühlen
  2. gebraucht werden und produktiv sein zu können
  3. spontan Gefühle ausdrücken können und gehört werden
  4. Status und Prestige

Menschen verstehen, bedeutet zuhören. Sich selbst aus dem Gehörten herausnehmen, nicht versuchen, das Gehörte anhand der eigenen Erfahrungen und Einstellungen zu bewerten. Einfach zuhören, die Bedürfnisse hinter dem Gesagten erkennen. Verstehen, dass die Darstellung und Erzählungen der persönlichen Wahrheit des Erzählers entsprechen. Diese Wahrheit muss mit unserer nichts gemeinsam haben, sie kann ihr widersprechen und für uns unglaubwürdig klingen. Validieren bedeutet die Wahrheit des anderen als seine Wahrheit anzuerkennen und die Gefühle dahinter zu erkennen.

Validation

Validation = Gültigkeitserklärung
validieren = für gültig erklären, geltend machen, bekräftigen

Validation berücksichtigt die Tatsache, dass es keine absolute, objektiv einzige Wahrheit oder Realität gibt. Jeder Mensch hat seine eigene Vorstellung von Wahrheit und Realität, geprägt von seinem Charakter, Einstellungen, Werten und Fähigkeiten, mit Krisen und Stresssituationen umzugehen.

Ich bin für dich da, ich versuche dich zu verstehen

Ich muss mit dem Gehörten nicht einverstanden sein, ich muss es nicht einmal verstehen, um die Bedürfnisse und Gefühle dahinter erkennen zu können. Um dem Gesprächspartner vermitteln zu können, ich bin für dich da, ich versuche dich zu verstehen, ich höre zu und ich versuche mich auf dich einzustellen.

„Jemanden zu validieren bedeutet seine Gefühle anzuerkennen, ihm zu sagen, dass seine Gefühle wahr sind. Das Ablehnen von Gefühlen verunsichert den anderen. Einfühlungsvermögen – „in den Schuhen des Anderen gehen“ – schafft Vertrauen, Vertrauen schafft Sicherheit, Sicherheit schafft Stärke, Stärke stellt das Selbstwertgefühl wieder her, Selbstwertgefühl verringert Stress. Manche desorientierten Menschen ziehen sich nicht mehr in die Vergangenheit zurück, wenn sie sich in der Gegenwart als stark, geliebt und nützlich erfahren.“

Naomi Feil, entwickelte zwischen 1963 und 1980 die Validations-Methode. Auszug aus einem unveröffentlichten Aufsatz von Dezember 1972

Daraus ergeben sich auch die Hauptaufgaben für diejenigen, die einen dementiell erkrankten Menschen begleiten:

  • Nichts erreichen wollen
  • Zeit nehmen, um zuzuhören
  • sich einlassen auf den anderen
  • keinen Druck ausüben, kommen lassen
  • zurückgeben was man gehört hat, zusammenfassen und wiederholen
  • erkennen lassen, dass es mich interessiert, was der Gesprächspartner zu sagen hat
  • Gefühle zulassen
  • die Gefühle und Bedürfnisse hinter dem Gesprochenem erkennen und bestätigen, manchmal auch ansprechen

Die Theorie der Entwicklungsstadien und Lebensaufgaben

Feils Methode liegt die Theorie der Entwicklungsstadien und Lebensaufgaben nach E. Erikson zugrunde. Diese Theorie basiert auf der Annahme, dass jedes Lebensalter mit der Erfüllung einer bestimmten Lebensaufgabe verbunden ist:

Lebensstadium -> Lebensaufgabe

Säuglingsalter -> lernen zu vertrauen oder misstrauen

Frühkindliches Alter -> Autonomie und Scham entwickeln

Spielalter -> Initiative oder Schuldgefühl

Schulalter -> Erfolg oder Minderwertigkeit

Adoleszenz -> Identität entwickeln

Junger Erwachsener -> mit Intimität umgehen lernen

Erwachsener -> Generativität oder Stagnation

Alter -> Integrität, Weisheit entwickeln

Rückzug in die innere Welt

Selten gelingt es, die Aufgaben gleich beim ersten Mal komplett zu erfüllen, es bieten sich dazu im Laufe des Lebens noch viele Gelegenheiten. Nutzen wir diese nicht und bleibt eine Lebensaufgabe bis in hohe Alter unerfüllt, kann es passieren, dass der Wille nicht mehr ausreicht und wir verlieren die Kontrolle über die unterdrückten Erinnerungen. Lange verleugnete und versteckte Gefühle brechen aus uns heraus. Daraus ergibt sich die letzte Lebensaufgabe nach Feil:

Hohes Alter -> die Vergangenheit bewältigen

Misslingt diese Aufgabe, weil wir dazu kognitiv oder körperlich nicht mehr in der Lage sind oder niemanden haben, der uns dabei hilft, bleibt letztendlich nur der Rückzug in die innere Welt.

Feil unterscheidet 4 Stadien der Desorientiertheit, jedes Stadium beschreibt einen weiteren Schritt in den Rückzug. Die Stadien orientieren sich an körperlichen und psychischen Charakteristiken.

  • Stadium I: Mangelhafte Orientierung (der Mensch ist teilweise orientiert, aber unglücklich)
  • Stadium II: Zeitverwirrtheit (Verlust der kognitiven Fähigkeiten, Rückzug in die Vergangenheit – Zeitreisend)
  • Stadium III: sich wiederholende Bewegungen (Bewegungen als Ausdrucksform ersetzen die Sprache)
  • Stadium IV: totaler Rückzug in die innere Welt

Je nach Stadium kommen andere Kommunikationstechniken zum Einsatz, überwiegt in Stadium I und II noch die verbale Kommunikation, so kommen in den Stadien III und IV hauptsächlich non-verbale Kommunikationstechniken zum Einsatz. (siehe Validation in Anwendung und Beispielen von Naomi Feil 2000)

Techniken für die validierende Begleitung in der Demenz

Verbale Techniken

  • Zusammenfassen / Wiederholen:

Das Gehörte zusammenzufassen und zu wiederholen hilft dabei, sich auf seinen Gesprächspartner einzustellen und wichtige Aspekte herauszuarbeiten. Die Wiederholung kann auch als Frage gestaltet werden, die auf die Gefühle hinter der Geschichte abzielt. z.B.: Dein Vater hat jeden Abend mit Dir geschimpft? War das schlimm? Hat Dich das gekränkt? Oder: Die Mama hat immer auf Sie geschaut. Vermissen Sie sie sehr? Bei dieser Gelegenheit sollten sehr verletzende Äußerungen positiv umformuliert werden.

  • Gefühle ansprechen:

Gefühlsbeschreibungen sollten immer als Frage gestellt werden, damit der Gesprächspartner die Gelegenheit hat, die Gefühle zu beschreiben. z.B.: Vermissen Sie die Mutter/den Vater/die Arbeit…? War das eine schöne Zeit? Hat Dich das verletzt? Mussten Sie immer so stark sein? Hast Du immer alles allein geschafft? Vermissen Sie diese Zeit? So traurig? Ist das so schlimm?

  • W-Fragen: wer, wann, wo, wie,.. aber nie warum fragen

Fragen zeigen das Interesse am Gesprächspartner und helfen Klarheit in das Gespräch zu bringen. z.B.: War das jeden Tag so? Wer hat das gemacht? Wann war das? Wo war das? Mit wem haben Sie das gemacht? Die Frage nach dem Warum sollte vermieden werden, sie fordert eine Rechtfertigung heraus und kann oft nicht beantwortet werden, manchmal führt sie auch zu einer ablehnenden Haltung.

  • Extreme herausfinden

Hier gilt es, das Schlimmstmögliche und das Bestmögliche herauszufinden. Diese Technik wird verwendet, wenn sich der Gesprächspartner in einer verzweifelten Stimmung befindet und soll dabei helfen, die Situation zu relativieren. z.B.: Was ist das Schlimmste, was passieren kann? Was war das schönste Erlebnis? Was waren die schlimmsten Schmerzen, die Du hattest? Was war das Beste, was Sie je gegessen haben?

  • Lösungsmöglichkeiten aus der Vergangenheit suchen

Hier wird versucht, die Kompetenzen aus der Vergangenheit zu nutzen und darauf zurückzugreifen. Im Fokus steht immer die Erfahrung des Gesprächspartners, nie die eigenen Erfahrungen. z.B.: Was hast Du früher gemacht, wenn die Situation so war? Wie war das früher? Was hat früher geholfen, wenn Du traurig warst? Was haben Sie früher gemacht, wenn Sie allein waren?

  • Schlüsselwörter

Als Schlüsselwörter werden Wörter bezeichnet, die ersatzweise für ein Wort, welches einem nicht mehr einfällt verwendet werden. Das gebräuchlichste Wort ist „Dings“. Dementiell erkrankte Menschen verwenden im Zuge des Fortschreitens ihrer Erkrankung immer mehr dieser Ersatzwörter, oft sehr kreative Wortschöpfungen. Diese Schlüsselworte sollen nicht hinterfragt werden, sondern werden beim Wiederholen, Umformulieren oder Gefühle ansprechen einfach mitübernommen. z.B.: War dieser Dings oft zu Besuch? Hat Sie der Besuch von Dings gefreut? Dieses Dings hätten Sie gerne öfter gehabt, hat Ihnen das Dings gefallen, was hat Ihnen besonders an Dings gefallen?

Nonverbale Techniken

  • Blickkontakt

Das Herstellen des Blickkontakts ist die erste und wichtigste Maßnahme bei der Kontaktaufnahme. Der Blickkontakt sichert die Aufmerksamkeit des Gesprächspartners und ermöglicht mir zu erkennen, wann der Gesprächspartner aus dem Gespräch aussteigt und seine Konzentrationsfähigkeit erschöpft ist.

  • Spiegeln

Unter Spiegeln wird die Anpassung der eigenen Stimmung, Stimmlage, Lautstärke, Haltung, Mimik und Gestik an die des Gesprächspartners verstanden. Dies passiert automatisch, wenn zwei Menschen in einem angeregten Gespräch vertieft sind. Es kann aber auch gezielt im Gespräch mit dementiell erkrankten Menschen eingesetzt werden, um Vertrauen und Nähe aufzubauen. Spiegeln bedeutet auch, sich in die Situation des Gegenübers einzufühlen und erleichtert die Kontaktaufnahme.

  • Berührungen

Berührungen sind vorsichtig einzusetzen, da nicht jeder sie toleriert. Sie beschränken sich auf Unterarm, Oberarm, Hände, Schulter, Rücken, Wangen oder Hinterkopf. Berührungen werden vorwiegend bei der Begrüßung und Verabschiedung eingesetzt oder um zu trösten. Es gilt herauszufinden, welche Berührung als angenehm empfunden wird.

  • Sensorische Stimulation (Musik, Gerüche, optische oder haptische Eindrücke…)

Um eine angenehme Stimmung zu erzeugen werden gerne Musik und Düfte eingesetzt, je nach Vorliebe des Gesprächspartners. Düfte sind sehr starke Anker für Erinnerungen und sind dauerhaft an Gefühle geknüpft. So kann der Duft von Zimt oder Lavendel eine angenehme Erinnerung an Weihnachten oder die Mutter auslösen und damit zu einem guten Gefühl verhelfen. Auch das Anschauen von Fotos oder Berühren von bekannten Gegenständen oder Stofftieren kann helfen, durch angenehme Erinnerungen Wohlbefinden aufzubauen.

Rituale

Rituale helfen dabei, schneller ein vertrautes und entspanntes Gesprächsklima aufzubauen und Orientierung zu geben. Versuchen Sie die Begrüßung und Verabschiedung mit einem gleichbleibenden Vorgehen einzuleiten. Je nach Fortschreiten der dementiellen Erkrankung und Näheverhältnis zum Betroffenen kann dies mittels Händeschütteln, Auflegen der Hand am Oberarm oder ein Begrüßungskuss sein. Wichtig dabei ist die Akzeptanz der Betroffenen, sie müssen damit einverstanden sein und sich dadurch angesprochen fühlen. Die Verabschiedung könnte mittels eines Liedes eingeleitet werden, oder auch nur mit erklärenden Worten, z.B.: : Leider muss ich mich jetzt wieder verabschieden, aber wir sehen uns am … um … wieder. Beendet wird die Verabschiedung meist mit der gleichen Berührung wie bei der Begrüßung.

Noch einige Tipps zum Schluss

Legen Sie sich auch ein Ritual für den Gesprächsablauf zurecht, mit welcher Frage sie beginnen, welche Musik oder Lieder Sie verwenden wollen, welche Gerüche oder Materialen Sie verwenden wollen. Aber achten Sie immer auf die Bedürfnisse Ihres Gesprächspartners, letztlich gibt er/sie das Thema und das Tempo vor. Stellen Sie immer nur eine Frage und warten die Antwort ab, bevor Sie die nächste Frage stellen, sonst könnten Sie ihren Gesprächspartner überfordern. Machen Sie keinen Druck und versuchen Sie nicht, etwas zu erzwingen, halten Sie auch Stille aus. Oft ist miteinander zu Schweigen und Nähe zuzulassen wirksamer, als ein schleppendes Gespräch.

Achten Sie auf Ihre eigenen Empfindungen, nur wenn es Ihnen gut im Gespräch geht, dann kann es auch Ihrem/Ihrer Gesprächspartner/Gesprächspartnerin gut gehen.

Literaturempfehlung:

Validation in Anwendung und Beispielen; Naomi Feil; 2000;

Validation, ein Weg zum Verständnis verwirrter alter Menschen; Naomi Feil und Vicki de Klerk; 1999

Andrea Goldemund ist diplomierte Krankenschwester, seit über 40 Jahren in Bereich der Krankenpflege tätig, mehr als 20 Jahre davon im Bereich der Altenpflege und Ausbildung von Pflegekräften. Wohnt in Klosterneuburg, nahe Wien in Österreich. Letzte berufliche Tätigkeit: Leitung eines Pflegewohnheims nach dem Hausgemeinschaftskonzept und Aufbau einer Ausbildungseinrichtung für Validation



Andrea Goldemund
Erreichbar über: andrea@goldemund.com