Über das Zittern und Zähneklappern in Zeiten emotionaler Überforderung
(Zum Lesen dieses Blog-Artikels empfehle ich eine Tasse heißen Tee. Während des Schreibens wurde
mir plötzlich sehr kalt, welch Glück einen kleinen Holzofen anzünden zu können.)
Oft frage ich mich, warum es in den Trauerhallen dieses Landes so unerträglich kalt sein muss. Ja, natürlich weiß ich, das tote Körper aus hygienischen Gründen eher der Kälte zugetan sind. Und es gibt glücklicherweise die ein oder andere Ausnahme: die hellen, lichten, warmen Räume, die den Abschied etwas leichter gestalten können. – Für die meist sowieso schon dünnhäutigen, emotional angeschlagenen Menschen sind die dunklen, kalten Hallen oft eine Zumutung. Als ob nicht schon genug Zittern und Zähneklappern wäre.
Thermoboots und lange Merino-Unterwäsche
Zu meiner Ausstattung als Rednerin gehören unter anderem ein warmer Daunenmantel, Thermoboots und lange Merino-Unterwäsche. Trotz dieser bekleidungstechnischen Maßnahmen kriecht mir die Kälte bei Abschiedsfeiern regelmäßig den Rücken hoch. Ohne eine Thermoskanne mit heißem Tee in Griffweite geht gar nichts. An die Beerdigungen meiner sehr früh verstorbenen Eltern erinnere ich mich kaum, eine Art Amnesie hat den unerträglichen Schmerz weit fortgeweht. In Erinnerung blieb mir jedoch dies alles erschütternde Zittern und Zähneklappern, welches damals selbst mit einer hohen Dosis Rescue-Tropfen nicht unter Kontrolle zu bringen war. Ein winziger Trost: Es war ein überwiegend kollektives Zähneklappern, denn meinen trauernden Geschwistern ging es ebenso.
„Wärme, Wärme, mehr Wärme. Denn wir sterben an der Kälte und nicht an der Dunkelheit.
Nicht die Nacht tötet, sondern der Frost.“
(Miguel de Unamuno, 1864 – 1936)
Der Mensch sehnt sich überwiegend nach Licht und Wärme
Meinem kleinen Sohn las ich oft und gerne aus den ‚Mumin-Büchern‘ von Tove Jansson vor. Gruselig wurde es immer dann, wenn die schreckliche Morra erschien. Ein kaltes und einsames Wesen, das in einem laken-artigen, ganz und gar schwarzen Körper, mit Rauhreif über die Landschaft fegte. Alles was sie berührte gefror. Die Mumintal-Bewohner und selbst mein tapferer Sohn hatten immer große Furcht vor ihr. Die Person der Morra steht im Mumintal für Kälte und Dunkelheit, doch auch für die Sehnsucht nach Licht und Wärme. Denn in der Finsternis scheint das Licht unerreichbar. Eigentlich mag ich den Winter. Warm eingepackt im Schnee spazieren zu gehen, kann wunderbar sein. Die kalte Luft durchströmt die Lunge, die Gedanken werden klar. Solange wir uns in der Natur bewegen, kann sich Kälte gut anfühlen. Doch, der Mensch sehnt sich überwiegend nach Licht und Wärme. Die Anzahl derjenigen, die freiwillig ein Bad in einem dunklen Trog voller Eiswasser nehmen
würden, ist vermutlich marginal. In der Vorstellung vieler Menschen ist das Leben gleichbedeutend mit Wärme und Licht, der Tod dagegen scheint dunkel und kalt. Da ich dem katholischen Glauben kritisch gegenüberstehe, kann ich mit der Angst vor der alles verzehrenden Höllen-Hitze, oder der Aussicht auf ein angenehm warmes Paradies gar nichts anfangen. Was immer nach dem Tod kommt, extreme Temperaturen sind dann vermutlich nicht mehr von Bedeutung.
Zähneklappern
Meinen letzten Atemzug stelle ich mir leicht und fließend, einfach, endlos vor. In meiner Vorstellung ist dieses allerletzte Ausatmen ein sanfter Hauch voller Wärme und Licht. Das lässt sich in Gedanken und Meditation üben. Manchmal überfällt uns schlagartig das subjektives Gefühl von innerer Kälte. Es handelt sich dabei um ein Frieren, das nicht auf die äußeren Umstände zurückzuführen ist. Ich erinnere mich gut an das fürchterliche Zähneklappern kurz vor dem Notkaiserschnitt, durch den mein Kind auf diese Welt kam. Obwohl es im Vorraum des OP-Saals recht warm war, überkam mich ein unkontrollierbares Zittern und Zähneklappern. Ich war unfähig mein Frieren zu artikulieren, oder gar um eine warme Decke zu bitten. Erst als ich meinen neugeborenen, gesunden Sohn im Arm hielt, kam die Wärme langsam zurück in meinen Körper. Wenn uns kalt wird oder wenn wir Angst haben, gibt unser Körper Warnsignale: Die Hautfarbe verändert sich, wir zittern und unsere Zähne schlagen klappernd aufeinander. Ab einem bestimmten Grad der Anspannung beginnen Muskeln zu zittern, der Körper versucht sich durch stärkere Kontraktion der Muskeln wieder aufzuheizen. Zittern ist also eine Art Zusatzheizung des Körpers. Werden die Kiefermuskeln aktiviert, um Wärme zu produzieren, schlagen beim Zittern die oberen und unteren Zähne aufeinander – wir klappern also mit den Zähnen.
Herzenswärme teilen
Ich erinnere mich an eine schöne Trauerfeier, die bei starken Minusgraden auf dem Münchner Nordfriedhof stattfand. Der Schnee knirschte unter den Schuhsohlen, ein Musiker ließ französische Chansons auf seinem Akkordeon erklingen. Die Tochter der Verstorbenen hatte sich in all der Überforderung nicht warm genug angezogen. Im dünnen Mäntelchen und leichten Schuhen stand sie bebend und weinend vor dem offenen Grab. Da kam eine ihrer Freundinnen von hinten auf sie zu, öffnete ihre dicke Winterjacke, um die Frierende mit einer festen, warmen Umarmung zu umfangen. Schmerz und Kälte mussten zwar trotzdem irgendwie ausgehalten werden, doch es gab zumindest diese leise kleine Geste, den Versuch Herzenswärme zu teilen. Seit der Wintersonnenende werden die Tage endlich wieder länger, Licht und Wärme kommen langsam, aber sicher zu uns zurück. Ich lese gerade, der Grund für die Wintersonnenwende sei die Neigung der Erdkugel von 23,4 Grad entlang ihrer Längsachse. Durch diese Neigung würde die Erde mal im Norden und mal im Süden mehr Licht von der Sonne erhalten. Interessant, was man beim Schreiben eines Blogartikels nebenbei noch lernen kann. Ich persönlich freue mich sehr auf den kommenden Frühling, Licht und Wärme sind mir herzlich willkommen. Die dunklen, kühlen Trauerhallen werde ich dann vermutlich erst wieder im Hochsommer richtig zu schätzen wissen, um der sommerlichen Hitze zu entgehen. So schließe ich diesen kleinen Text-Ausflug in die Kälte mit dem wortgewaltigen Friedrich Nietzsche, – und setzte mich, samt seiner Zeilen ans knisternde, wärmende Feuer:
„Der Winter, ein schlimmer Gast, sitzt bei mir zu Hause;
blau sind meine Hände, von seiner Freundschaft Händedruck.
Ich ehre ihn, diesen schlimmen Gast, aber lasse gerne ihn allein sitzen.
Gerne laufe ich ihm davon; und, läuft man gut, so entläuft man ihm!
Mit warmen Füssen und warmen Gedanken laufe ich dorthin,
wo der Wind stille steht, – zum Sonnen-Winkel meines Ölbergs.
Da lache ich meines gestrengen Gastes und bin ihm noch gut, dass er
zu Hause mir die Fliegen wegfängt und vielen kleinen Lärm stille macht.
Er leidet es nämlich nicht, wenn eine Mücke singen will, oder gar zwei;
noch die Gasse macht er einsam, dass der Mondschein drin nachts sich fürchtet.
Ein harter Gast ist er, – aber ich ehre ihn, und nicht bete ich,
gleich den Zärtlingen, zum dickbäuchigen Feuer-Götzen.
Lieber noch ein wenig Zähneklappern als Götzen anbeten! – so will’s meine Art.
Und sonderlich bin ich allen brünstigen dampfenden dumpfigen Feuer-Götzen gram.“
(F. Nietzsche)
Zum Profil von Daniela Mecklenburg
Text und Bilder: Daniela Mecklenburg, www.herzenstrost.de – im Januar 2021