Sternenkinder einbetten

Sternenkinder: Dein Sternenkind selbst einbetten.

Nach der Geburt ist die Mutter meist noch auf Station und kann in dieser Zeit ihr Sternenkind sehen. Bei der Entlassung muss sie sich zum ersten Mal räumlich sehr deutlich von ihrem Kind trennen. Die Eltern gehen mit leeren Händen nach Hause und das Kind wird in die Pathologie des Krankenhauses gebracht. In dieser Situation komme ich dann meistens hinzu.

Das letzte Bettchen für dein Sternenkind

Ich spreche dann mit den Eltern und biete ihnen an, nicht nur einen Sarg auszusuchen, sondern ihn auch selbst zu gestalten und ihr Kind selbst in dieses letzte Bettchen zu legen. Viele sind zunächst zögerlich. Wollen mit dem Sarg nichts zu tun haben. Haben Angst, ihr Kind nochmal zu sehen. Wie es sich wohl verändert hat in den letzten Tagen? Ob all der Schmerz geballt wieder hochkommt? Was ist ggf. mit Geschwisterkindern oder Großeltern? Oft entlasse ich die Eltern ohne eine klare Antwort zu haben und gebe ihnen Zeit zu spüren, zu reden, zu schlafen. Und manches, was zuerst eine abwegige Idee erschien, wird zu etwas ganz Natürlichem. Manche wollen ganz klar nicht und manche sind sich weiterhin unsicher. Ich verabrede mich dann mit ihnen im Krankenhaus und wir lassen offen, ob sie nur den gestalteten Sarg (so sie das wollten), die Kleidung und Sargbeigaben bei mir abgeben oder ob sie ihr Kind nochmal sehen wollen.

Dein Sternenkind nochmal sehen

Ich bin dann mindestens eine Stunde vorher da und bringe das Kind in den Abschiedsraum des Krankenhauses, räume etwas um, denn die Räume sind auf Erwachsene ausgerichtet und kümmere mich um das Sternenkind. Je nachdem ziehe ich es aus oder an, ziehe ein Mützchen zurecht und mummel es in Mulltücher. Ich möchte, dass sich die Eltern ihrem Sternenkind wieder langsam nähern können und sich immer wieder neu entscheiden, wie nackt und welche Körperteile sie sehen möchten.
Danach warte ich draußen auf die Eltern. Ich erzähle ihnen, wie ihr Sternenkind in meinen Augen aussieht. Wenn etwas auffällig ist oder ich nicht weiß, ob es vor ein paar Tagen auch schon so war, frage ich das und erkläre ggf. warum das so ist. Dann gehe ich mit den Eltern hinein und bleibe dann so lange bis ich das Gefühl habe, ich werde nicht mehr gebraucht. Ich lasse die Eltern alleine und warte vor der Tür.

Sterneneltern stehen oft ganz anders in ihren Schuhen, wenn sie sich verabschiedet haben

Manchmal werde ich geholt, um beim Anziehen zu helfen, manchmal soll ich den Sargdeckel schließen. Und manchmal kommen die Eltern raus und haben einfach alles selbst gemacht.

Das Kind ist von seinen Eltern in den Sarg gebettet worden und der Sarg verschlossen. Meist sind die Eltern unruhig wenn sie kommen, haben schlecht geschlafen, fühlen sich falsch. Wenn Sie gehen sind sie oft erschöpft, aber ruhig und stehen ganz anders in ihren Schuhen. Ich kann es ganz schwer beschreiben, aber ich bin immer wieder erstaunt und berührt von dieser Verwandlung. Wie dieser Prozess des Einbettens verläuft kann niemand vorhersagen. Manche wollten eigentlich selbst einkleiden und merken dann, es ist ihnen doch lieber, wenn ich das tue und sie schauen mir zu oder wir machen das zusammen. Und manche erklären mir noch kurz vor der Tür: Ja, alles andere könnten sie nicht und kommen dann raus und haben alles selber gemacht.

Zeit und Ruhe sind ganz essenziell

Oft fühlt man erst in der Situation was man kann oder nicht kann. Was sich richtig und was sich falsch anfühlt. Und wie es sich anfühlt, können immer nur diejenigen wissen, die es fühlen. Ich finde es sehr wichtig, da wertfrei zu sein.

Ob die Eltern oder ich das Kind ankleiden macht sie nicht zu besseren oder schlechteren Eltern. Ich habe mir die ersten Male bei meinen Kindern auch helfen lassen. Mir ist wichtig, dass ich den Eltern, die ihr Kind nicht hunderttausendmal ankleiden werden, diese Handlung nicht wegnehme. Diese Momente und Erinnerungen sind so kostbar, denn es gibt so wenige davon, dass ich nicht voreilig sein will, nur weil ich routinierter bin und weniger Angst habe, die fragilen Menschlein dabei zu verletzen.

Was ich sagen will: niemand weiß, wie sie:er dabei reagieren wird. Seid milde. Man muss es nicht vorher wissen. Zeit und Ruhe sind ganz essenziell.


Lea Gscheidel
Bestatterin

Zum Profil von Charon Bestattungen