Tradition & Moderne
In Japan gibt es die Tradition, ein „Abschiedsgedicht des Lebens“ zu verfassen. Der Dichter Banzan verstarb am 15. August 1730 im Alter von 69 Jahren. Sein Sterbegedicht reflektiert selbstbewusst, formuliert in klaren Worten, die Endlichkeit jeden Lebens. Abgerundet wird sein Ausspruch mit dem Verweilen in einem vergänglichen Moment.
Lebt wohl! Ich vergehe, so wie alle Dinge. Tau auf dem Gras. – Banzan
Der Tau, welcher morgens auf den Pflanzen glitzert, verdunstet, wenn die Sonne höher steigt. Dieses Bild der Vergänglichkeit symbolisiert der Tau, die Sonne die vergangene Lebenszeit. In der buddhistischen Literatur wird von einer „Welt aus Tau“ gesprochen, um die Akzeptanz der Endlichkeit zu veranschaulichen.
In Banzans Gedicht erkenne ich verschiedene Seiten Japans wieder: Japanischem Design wohnt oft eine klare Schlichtheit mit gleichzeitig großer Symbolkraft inne. Im Gegensatz zu dieser Tradition kann die moderne Seite Japans sehr bildgewaltig, bunt und laut kommunizieren. Beides lebt mit- und nebeneinander.
Die japanische Kultur ist sehr vielfältig und für mich als Betrachterin von außen kann ich sagen, dass mir beide Seiten (Tradition und Moderne) etwas geben. In Bezug auf den Themenbereich „Bestattung“ bildet die Tradition in Form von buddhistischen Ritualen und Festen das Fundament. In einem Land, in dem Perfektionismus und Kundenservice hoch geschätzt werden, hat die Bestattungsbranche ebenfalls eine zeitgemäße Ausgestaltung angenommen. Hierzu zählen fachlich bestens geschultes Personal, technisches Equipment und schnelle Kommunikation sowie das Eingehen auf persönliche Wünsche.
Japanische Bestattungszeremonien und -rituale
In Japan sterben jährlich 1.300.000 Menschen, das sind circa 1% der Bevölkerung. Durch die buddhistische Prägung werden 99,9% feuerbestattet. Zur Relation: Im Jahr 2016 wurden 230 Erdbestattungen in ganz Japan durchgeführt.
Im Buddhismus, als sogenannter „Erfahrungsreligion“, ist das Erleben der Rituale ein Hilfsmittel auf dem Weg zur Erleuchtung und die Ausübung eine Ehrung der Ahnen. Die zentralen Bestattungsrituale können von den Angehörigen selbst ausgeführt werden oder sie nehmen aktiv Anteil, indem sie den Ritualen beiwohnen.
Die Waschung und das Ankleiden der/des Verstorbenen kann im kleinsten Kreis, vor der ganzen Familie und auf Wunsch in Anwesenheit eines Mönches erfolgen. Oft übernimmt die Aufgabe der Waschung heute ein speziell ausgebildeter Mitarbeiter eines Bestattungshauses. Nach dem Umsorgen der/des Verstorbenen erfolgt das Einbetten in den Sarg. Verschiedenste Varianten und die Besonderheiten der Region (zum Beispiel als Beigabe ein Pilgerstock aus Kyoter Bambus) werden von den Mitarbeitern berücksichtigt. Hat die Waschung im häuslichen Bereich stattgefunden, beginnt im Anschluss die Totenwache, bei der das ranghöchste Familienmitglied oder deren Stellvertreter bei der/dem Verstorbenen bis zur Abschiedsfeier verbleibt. Die Gäste kondolieren dem Familienoberhaupt und überreichen ein Geldgeschenk zur Unterstützung der Bestattungskosten. Als Dank für die Kondolenzspende erhalten die Gäste ebenfalls ein Präsent zum Beispiel eine Gebetskette oder ein hochwertiges Taschentuch.
Abschiedsfeiern erfolgen heute fast ausschließlich in Bestattungshäusern oder Krematorien. Für die Zeremonie wird ein Altar mit Gaben für die Götter errichtet: In der Mitte ist ein Foto des Verstorbenen zu sehen, daneben befinden sich Bambusfächer, Leuchter und Süßigkeiten. Oft werden auch Blumen kunstvoll arrangiert wobei auf deren Symbolik großen Wert gelegt wird. Der Sarg der/des Verstorbenen wird geöffnet vor dem Altar aufgebahrt. Für den Mönch, welcher die Abschiedszeremonie durchführt, werden Räucherwerk, Klanginstrumente und ein Bambusspross bereitgestellt.
Feuerritual und Familienaltar
Die Angehörigen können sich durch unterschiedliche Rituale beteiligen zum Beispiel das Ablegen einer Blume in den Sarg, das Anzünden von Räucherstäbchen oder das Mitgeben von persönlichen „Reisebegleitern“. In Anwesenheit der Gäste wird der Sarg im Krematorium an das Feuer übergeben. Während der Zeit der Kremation setzen sich die Familie mit ihren Gästen zusammen, um gemeinsam zu speisen. Im Anschluss versammeln sich alle, um bei einem Ritual die noch vorhandenen Knochen in die Urne zu geben. Hierfür heben zwei Menschen gemeinsam mit speziellen langen Stäbchen die Knochen auf. Die Familie nimmt die Urne mit nach Hause, wo sie 49 Tage am Familienaltar aufbewahrt wird, bis sie ihre endgültige Ruhestätte auf dem Friedhof, meist im Familiengrab, findet.
49 Tage zwischen den Welten
Die Japaner hoffen nach Ihrem Tod, im „reinen Land des Westens“, dem buddhistischen Paradies, wiedergeboren zu werden/anzukommen. Daher wird der korrekten Ausführung der Begräbniszeremonie große Bedeutung zugemessen. Bei Mängeln könnte der Verstorbene Schwierigkeiten haben, den Übergang zu finden – und die Folge wäre, dass die Lebenden heimgesucht werden. Die schon erwähnten 49 Tage, in denen die Urne vor der Beisetzung aufbewahrt wird, haben den Ursprung, dass der Geist der/des Verstorbenen in dieser Zeit der Welt der Lebenden noch sehr nahe ist. In anderen Erzählungen bleibt der Geist jahrzehntelang schwebend über der Welt der Lebenden, bis er seine Ruhe findet. Auf diesem Glauben beruhend ist es möglich, mit den verstorbenen Angehörigen weiter in Kontakt zu stehen. Viele Menschen unterhalten sich am Hausaltar oder am Grab mit Ihren Lieben. Sie berichten von Geburten, Hochzeiten, Trauerfällen und aus dem Alltag. Sie hoffen auf die Eingebung eines weisen Ratschlages durch ihre Ahnen.
Jährliches O-Bon-Fest für die Seelen der Verstorbenen
O-Bon sind die buddhistischen Feiertage zur Errettung der Geister der verstorbenen Ahnen. Je nach Region wird das Fest im Juli oder August für drei Tage gefeiert. Neben der Reinigung der Grabstätte und einer Zeremonie am Hausaltar werden auf öffentlichen Plätzen Tänze aufgeführt. Die Familie schmückt das Haus mit Lichtern und wartet auf die Rückkehr der Verstorbenenseele, zu deren Ehren die Lieblingsspeisen des Menschen bereitet werden. Ein weiteres Ritual ist, kleine mit Kerzen erleuchtete Booten aus Holz oder Papier auf einem Fluss schwimmen zu lassen. So kehren die Verstorbenenseelen in ihre Welt zurück.
Japanischer Waldfriedhof Okunoin auf dem Berg Koya
Der Okunoin Friedhof ist ein ganz besonderer japanischer Friedhof. Er liegt auf der Hochebene des Pilgerberges Koya und beherbergt cira 200.000 Grabstellen. Der Waldfriedhof wird wie durch ein Dach der bis zu tausendjährigen Zedern umschlossen. Eine tief berührende Stille herrscht in diesem Wald, während man über die langen Steinwege, vorbei an hunderten Mondlaternen, ins Innere wandelt. Die alten Grabstätten und Skulpturen sind von Moos bewachsen – und hier und da begegnet man einem Waldtier.
Der Mönch Kukai, bekannt unter dem Ehrennamen Kobo Daishi („Meister der Verbreitung des Gesetzes“), gründete im Jahr 816 die Schule des Shingon Buddhismus auf der dicht bewaldeten Hochebene. Zahlreiche Tempel wurden errichtet. Auch heute noch ist dieser Ort die wichtigste Ausbildungsstätte für junge Mönche. Reisende können in den Tempeln übernachten und traditionelle japanische Gastfreundschaft erfahren. Das Grab von Kobo Daishi (im Torodo-Tempel) ist das bekannteste Grab auf dem Okunoin Friedhof und bildet das Zentrum. Der Torodo-Tempel beherbergt 10.000 Laternen, welche als Gabe für die Ahnen von Pilgern aus der ganzen Welt gespendet wurden. Jeder kann sich auf dem Friedhof bestatten lassen, ganz gleich welcher Religion oder Nationalität er angehört. Grundvoraussetzung ist eine Einäscherung – und dass man im Geiste der Grundhaltung von Kobo Daishi zustimmend gegenübersteht. Meine persönliche Empfehlung ist der Besuch sowohl bei Tag als auch bei Nacht!
Fotos: Anna Lutter
Anna Lutter ist selbstständige Bestattermeisterin im Raum Düsseldorf. Sie studierte Bildende Kunst, absolvierte die Ausbildung zur Bestattungsfachkraft und Sterbebegleiterin. Einen zeitgemäßen Abschied zu gestalten, sieht sie als ihre Berufung. Auf Wunsch lässt sie traditionelle oder moderne Trauerrituale aus aller Welt in ihre stilvollen Abschiedszeremonien mit einfließen.