Kann ich wegen Trauer krankgeschrieben werden?

Trauerbegleiter Thomas Achenbach lächelt in die Kamera.

Bekomme ich ein Attest, wenn ein Angehöriger gestorben ist? Auf meinem Internetblog www.trauer-ist-leben.blogspot.de ist das die am meisten gestellte Frage. Fast täglich tippt irgendjemand in Deutschland eine Frage wie diese in eine Suchmaschine – und landet dann rasch bei mir, das zeigen mir die Analysen, bei denen die Sucher natürlich anonym bleiben.

Trauer darf keine Krankheit sein

Nein, Trauer darf keine Krankheit sein, sondern eine normale Reaktion auf einen eigentlich normales und doch als unnormal erlebtes Ereignis. Darin sind sich alle einig, die sich im Hospiz-, Palliativ- und Trauerbegleiterkontext bewegen. Und diese inzwischen sehr hochgehaltene Flagge wird in jüngster Zeit mit zunehmender Verbissenheit verteidigt, je näher der neue Krankheitenkatalog der Weltgesundheitsorganisation rückt, denn der sieht vor, eine sich verfestigte Trauer neu in den Katalog mit aufzunehmen. Doch diese Debatte soll heute nicht unser Thema sein – sondern vielmehr die Tatsache, dass Menschen ganz offensichtlich wegen Trauer krankgeschrieben werden wollen.

Na klar kann man sich krankschreiben lassen!

Und deswegen gilt eben auch: Na klar kann man sich krankschreiben lassen. Weil es unbestreitbar so ist, dass einen die Symptome von Trauer massiv beeinträchtigen können – so massiv, dass man eben nicht mehr arbeitsfähig ist -, braucht sich auch niemand zu schämen, wenn er sich genau das von einem Arzt attestieren lässt. Nur dass dort das Wort Trauer eben nicht auftaucht. Auf dem gelben Schein steht dann vermutlich eine „Anpassungsstörung“. Oder eine „akute Belastungsreaktion“. Das sind zwei Sammelbegriffe, unter denen sich vieles zusammenfassen lässt. Und die durch Trauer ausgelösten Symptome wie beispielsweise eine große Unruhe oder Konzentrationsschwierigkeiten oder eine alles überstrahlende Sehnsucht nach dem oder den gestorbenen Menschen passen in dieses Schema.

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Schließlich noch etwas ganz Wichtiges: Auch wenn es sich allgemein eingebürgert hat, von der „Krankschreibung“ zu sprechen oder davon, dass man sich „krankschreiben“ lässt, so ist das in Wahrheit falsch. Das zeigt schon ein Blick auf so einen Gelben Schein. Dort oben steht „Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung“. Also die Bescheinigung, dass man temporär nicht arbeitsfähig ist. Was nicht automatisch bedeuten muss, dass man auch krank ist. Im Fall von Trauer ist das eine ganz wichtige Unterscheidung. Denn es ist natürlich so, dass die durch Trauer ausgelösten Symptome einen Menschen stark beeinträchtigen können, so dass man nicht arbeitsfähig ist. Immerhin handelt es sich um einen Prozess des Leidens. Gleichwohl ist ein dergestalt betroffener Mensch nicht krank.

Der Bucheinband des Buches "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen: Trauer, Pflege, Krise" von Thomas Achenbach.
Trauerbegleiter Thomas Achenbach lächelt in die Kamera. Hinter ihm liegt ein See.

Thomas Achenbach
Trauerbegleiter

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