Vorbereitet sein – für den Pflegefall in der Familie
Das Thema „Vorbereitet sein“ ist für Bohana eines der großen Themen, dass wir immer wieder in seinen verschiedenen Aspekten beleuchten.
Für mich, aus meiner persönlichen Erfahrung heraus, gehört da auch die Beschäftigung mit dem Thema Pflege in all seinen Ausprägungen rein. Ein Bereich, den wir, wie den Tod, gerne ausblenden oder verdrängen. Dabei ist auch das Thema Pflege eine Lebenswirklichkeit, mit der wir uns beschäftigen und auf die wir uns vorbereiten können. Sei es als Betroffene oder als pflegende Angehörige. Sei es als Kinder, die wir uns um unsere Eltern kümmern und/oder als Eltern, die wir uns Gedanken dazu machen, wie wir diese letzte Lebensphase gestalten wollen und welche Möglichkeiten wir haben.
Pflegenio hat einen wichtigen Beitrag zur ersten Orientierung geschrieben, was zu tun und zu bedenken ist, wenn wir plötzlich mit einer Pflegesituation konfrontiert sind. Denn Realität ist auch, dass so eine Situation uns meist unvermittelt und kalt erwischt.
Dann müssen wir – oft unter hohem Zeitdruck – handeln. Es gibt viel zu organisieren und zu bedenken, aber auch viele Möglichkeiten, die zu kennen so ausgesprochen hilfreich ist:
Plötzlich Pflegefall – was jetzt?
Ein Pflegefall in der Familie oder im Bekanntenkreis trifft uns meist unerwartet und unvorbereitet. Sei es ein Unfall, eine Erkrankung oder eine Operation: Wir fühlen uns überfordert und stellen uns Fragen, über die wir uns vorher meistens noch nie Gedanken gemacht haben.
Da die erforderliche Pflegesituation nicht nur ein emotionales und sehr persönliches Thema ist, sondern in ihrer Komplexität und der gebotenen Eile, in der Entscheidungen getroffen werden müssen auch unüberschaubar scheint, möchten wir Ihnen Unterstützung anbieten und die ersten wichtige Schritte, die nun anstehen, erläutern.
- Ersten Schock verarbeiten
- Gesamte Situation erfassen
- Pflegegrad beantragen
- Entscheidung für Pflegeform
- Definition Aufgaben der Angehörigen
- Finanzierung klären
- Gesetzliche Vertretung
1) Ersten Schock verarbeiten
Auch wenn es nun viel zu organisieren gibt, sollten Sie sich und Ihr Wohlbefinden nicht vernachlässigen! Nehmen Sie sich bei all den Informationen, die nun auf Sie einprasseln, und Entscheidungen, die getroffen werden müssen, auch Zeit für sich: um sich einmal zu sammeln, mit einer anderen Thematik zu beschäftigen oder auch einfach spazieren zu gehen und den Kopf freizubekommen. Bitte vergessen Sie nicht: Sie sind nicht allein! Sie sollten von Beginn an mit Familienmitgliedern oder engen Freunden sprechen, Ihnen Ihre Gefühle und Sorgen mitteilen. Bei ihnen können Sie auch Hilfe anfragen und ein Unterstützungsnetz aufbauen. In Gesprächen werden Sie schnell merken, dass andere auch in ähnlichen Situationen sind oder waren. Tauschen Sie sich aus, fragen Sie nach Tipps und Erfahrungen. Denn gemeinsam sind Sie stärker!
2) Gesamte Situation erfassen
Zunächst sollten Sie feststellen, wie umfangreich der Pflegebedarf der Ihnen nahestehenden Person ist. Beginnen Sie mit den Krankheiten, den damit verbundenen Konsequenzen und medizinisch notwendigen Versorgungen. Auch die Häufigkeit von Arztterminen, Therapien oder Ähnlichem sollten Sie notieren. Begutachten Sie daraufhin die häuslichen Gegebenheiten: Gibt es Treppen, die ein Hindernis darstellen können, Stolperfallen oder schlechte Beleuchtung? Kann die pflegebedürftige Person alles Nötige erreichen sowie das Bad barrierefrei nutzen? Achten Sie darauf, bei der Erfassung den Senior oder die Seniorin miteinzubeziehen. Welche Schwierigkeiten fallen ihm*ihr selbst auf? Ziehen Sie ein Fazit, ob jetzt sofort Hilfe benötigt wird oder ob die Betreuung erst in einigen Wochen (z. B. aufgrund eines Krankenhausaufenthalts oder Reha) fällig wird und wie hoch der Pflegeaufwand sein wird.
3) Pflegegrad beantragen
Um geeignete finanzielle Unterstützung bei der Versorgung zu erhalten, ist die Beantragung des Pflegegrads essenziell. Den Antrag stellen Sie entweder telefonisch oder schriftlich bei der Pflegekasse des pflegebedürftigen Menschen. Meist finden Sie online auf der Webseite der Krankenkasse, an die die Pflegeversicherung gegliedert ist, ein entsprechendes Formular. Daraufhin meldet sich ein*e Gutachtende*r des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung bei Ihnen und vereinbart einen Termin zur persönlichen Analyse. Bei dem Besuch macht sich der oder die Gutachtende ein Bild der Situation und schätzt den Pflegebedarf ein. Dabei wird auf die Mobilität, die kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten sowie psychische Beeinträchtigungen geachtet. Auch die Alltagsbewältigung und krankheitsbedingte Anforderungen werden aufgenommen. Sie bekommen dann den Pflegegrad mitgeteilt, der für die Entscheidung der Pflegeform, die Finanzierung und das Unterstützungsangebot ausschlaggebend ist:
Pflegegrad 1: Weitgehend selbstständige Lebensweise mit geringfügiger Pflegebedürftigkeit
Pflegegrad 2: Erhebliche Einschränkungen in der Selbstständigkeit
Pflegegrad 3: Schwere Beeinträchtigung der Selbstständigkeit
Pflegegrad 4: Schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit
Pflegegrad 5: Schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit mit besonderen Pflegeanforderungen
4) Entscheidung für Pflegeform
Da Sie nun wissen, was die Pflege Ihres*r Angehörigen beinhalten wird, sollten Sie sich im nächsten Schritt für eine geeignete Pflegeform entscheiden. Dies ist für viele kein einfacher Prozess und möglicherweise auch mit Vorurteilen oder Ängsten verbunden. Sie möchten die nahestehende Person glücklich und gut versorgt wissen und diese möchte wiederum ihre Selbstständigkeit weitestgehend behalten und möglichst in Ihrer vertrauten Umgebung bleiben. Daher sind eine ausführliche Information und Befassung mit allen Vor- und Nachteilen wichtig. Es gibt keine allgemeine Lösung, da je nach Pflegegrad und individuellen Wünschen eine Pflegeform besser oder schlechter passen kann.
So können Sie als Angehörige*r die Pflege selbst übernehmen, und ggf. zusätzlich einen ambulanten Pflegedienst oder die Tages-/Nachtpflege in Anspruch nehmen.
Eine weitere Möglichkeit ist die 24-Stunden-Betreuung im eigenen Zuhause, die sich durch eine individuelle 1:1 Pflege auszeichnet.
Auch ein Umzug in ein Apartment innerhalb des Betreuten Wohnens oder ein stationärer Aufenthalt in einem Seniorenheim sind mögliche Optionen.
Weitere Details zu den einzelnen Pflegeformen, die Ihnen bei der Entscheidung helfen können, finden Sie hier (Beitrag folgt). Oder Sie können sich für einen ausführlichen Rat an eine Beratungsstelle in Ihrer Nähe wenden.
5) Definition Aufgaben der Angehörigen
Sobald Sie sich für eine Pflegeform entschieden haben, müssen die anstehenden Aufgaben verteilt werden. Dies kann vom Abschluss der Dienstleistungsverträge, Schulungen und Kursen bis hin zur Organisation eines Umzuges oder Umbaumaßnahmen im Zuhause des pflegebedürftigen Menschen reichen. Aber auch Fahrten zu Terminen, Besuche, Freizeitmöglichkeiten oder der Kauf von neuen Produkten gehören dazu. Achten Sie bitte darauf, dass Sie sich nicht überladen, sondern die Aufgaben – wenn möglich – auf mehrere Personen verteilen.
6) Finanzierung klären
Je nach Pflegeform, nötigen Maßnahmen und Käufen kommen nun verschiedene Kosten auf Sie zu. Hier können Sie auf finanzielle Unterstützung bauen und müssen nicht den vollen Betrag allein stemmen. So haben Personen mit anerkanntem Pflegegrad Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung. Dazu zählt zum einen das Pflegegeld oder die Pflegesachleistung, womit Sie den Eigenanteil für die jeweiligen Pflegeformen verringern können. Die Höhe der Erstattung steigt mit zunehmendem Pflegegrad. Auch ein Zuschuss der Kasse zur Kurzzeitpflege oder Verhinderungspflege sowie der Entlastungsbetrag steht Ihnen zu. Als Angehöriger haben Sie außerdem Anspruch auf Pflegeunterstützungsgeld für unbezahlte Freistellung von Ihrer Arbeit aufgrund der akuten Situation. Ein weiterer Punkt sind wohnumfeldverbessernde Maßnahmen, mit denen die häusliche Pflege erst ermöglicht bzw. erleichtert wird oder eine selbstständigere Lebensführung der pflegebedürftigen Person bedeutet. Hier erfolgt eine Kostenübernahme der Kasse bis zu einem gewissen Betrag.
Ein weiterer Tipp ist die steuerliche Absetzbarkeit von pflegeverbundenen Ausgaben sowie die Finanzierung von Pflegehilfsmitteln. Für bestimmte Hilfsmittel, die zum Verbrauch bestimmt sind, steht Ihnen ein monatlicher Betrag zu und für technische Hilfsmittel können Sie je nach Bedarf ebenfalls Zuschüsse beantragen oder Geräte leihweise erhalten.
7) Gesetzliche Vertretung
Sollte die pflegebedürftige Person wichtige Entscheidungen nicht mehr selbst treffen können, müssen rechtliche Voraussetzungen geschaffen werden, damit Sie diese Verantwortung übernehmen können.
Mit einer Betreuungsverfügung bzw. Betreuungsvollmacht wird festgelegt, wer die Betreuung bei Eintritt einer Pflegebedürftigkeit übernehmen soll. Wird eine Vorsorgevollmacht festgelegt, kann Ihnen das völlige Entscheidungsrecht über den Vollmachtgeber (Pflegebedürftige Person) übertragen werden. Diese wird im Fall einer Pflegebedürftigkeit, in der die betroffene Person nicht mehr handlungsunfähig ist, sofort gültig. Die Generalvollmacht befähigt Sie ebenfalls, über sämtliche persönliche, rechtliche und finanzielle Belange des Vollmachtgebers zu verfügen, greift jedoch bereits ohne Eintritt der Pflegebedürftigkeit. So schwer diese Thematik auch ist, ist es sinnvoll, sich mit einer Patientenverfügung noch vor Eintritt eines solchen Falles auseinanderzusetzen. Mit dieser können Sie die Wünsche des*der Betroffenen umsetzen, welchen Umfang lebenserhaltende Maßnahmen haben sollen. Text&Bilder: