Bohana-Schwerpunktwoche: Trauer am Arbeitsplatz

Meine Erfahrung als Personalverantwortliche mit Trauer am Arbeitsplatz

Meine erste Begegnung mit Trauer am Arbeitsplatz liegt schon ein Weilchen zurück. Ich war relativ frisch verantwortlich für zehn interne Kolleg:innen. Ich habe Projekte eingeteilt und eine sehr zuverlässige, wenn nicht die zuverlässigste Kollegin, hat nicht auf meine E-Mails reagiert. Sofort kam es mir komisch vor. Keine Unruhe aufkommen lassen, hab ich sie angerufen. Nicht erreichbar. Gelassen bleiben, da kann alles und nichts passiert sein. Den ganzen Tag nicht erreichbar. Seltsam, beunruhigend. Am nächsten Tag dieselbe Situation. Das passte nicht. Am Ende des zweiten Tages habe ich meinen Chef informiert. Wir haben besprochen, dass ich am nächsten Tag die Polizei informiere.

Wir waren unsicher: Was macht man denn in so einem Fall?

Es ließ mich nicht los, ich habe die ganze Nacht recherchiert, um an irgendeinen Kontakt im näheren Umfeld zu kommen, jemand, der sie kennt und vielleicht etwas weiß. Über viele Umwege habe ich die E-Mailadresse ihres Mannes erhalten und ihn angeschrieben, dass wir uns Sorgen machen, ob etwas passiert ist? Kurz und knapp, ich werde es nie vergessen, kam die Antwort: „Tabea ist am Montag gestorben. Viele Grüße, Rolf*“ Das war‘s.

„Du Anne, das lässt mich nicht los, dass ich nie erfahren habe, was mit Tabea*passiert ist.“

Der Computer wurde zurückgeschickt, wir haben nichts weiter erfahren, auch mein Chef damals nicht. Das hat mich geprägt. Viele Jahre später hat mir eine Kollegin erzählt, wie sehr sie das immer noch beschäftigt. Einfach weg, ohne Erklärung. Spekulationen, keine Sensationsgier, sondern einfach das Bedürfnis, eine vollkommen unverständliche Situation annähernd begreifen zu können. Ich hatte keinen Plan, wie wir damit umgehen können. Aber als Personalverantwortliche musste ich einen Weg finden und so habe ich intuitiv gehandelt. Ich habe Gespräche geführt, in Gruppen und einzeln, einen Raum gegeben. Damals eher konzeptlos, wenn ich ehrlich bin. Ich habe versucht, einfach ansprechbar und da zu sein.

Da sei und im Gespräch bleiben, Druck nehmen und Raum geben

Meine Chefs haben mir viel Gestaltungsspielraum gelassen. Und so wurde es mit den Jahren klarer, was wir als Firma machen, wenn es einen Trauerfall im Arbeitsumfeld gibt. Das ging so weit, dass ich auf Wunsch auch bei der Beisetzung eines externen Kollegen war oder bei der Wohnungsauflösung mitgeholfen habe. Als die Mutter einer Kollegin plötzlich verstorben ist, haben wir einfach viel geredet. Die Firma hat zusätzlich ein Trostlicht geschickt. Zeichen setzen, Rücken stärken, Rücksicht nehmen, Freiheiten geben und fünfe gerade sein lassen. Meine Erfahrung hat gezeigt, dass das schon ganz schön viel ist.

Arbeitgeber, die Trauernden Raum geben, bekommen die geschenkte Zeit und Kraft zurück, und zwar doppelt

In einfühlsamen Unternehmen dürfen Arbeitnehmer:innen Mensch und menschlich sein. Das sehen auch die Kollegen und fühlen sich wohler. Ich werde nicht fallengelassen, wenn ich nicht mehr funktioniere, funktionieren kann, wenn es mir nicht gut geht. Das gibt Sicherheit, das stärkt die Bindung zum Unternehmen und die Leistung. Ich bin davon überzeugt. Mit dieser Haltung habe ich die Firmenphilosophie damals mitgeprägt und mitgestaltet. Es ist okay, wenn du nicht okay bist, es gibt gerade eine Krise in deinem Leben. Wir sind für dich da, wir begleiten dich durch die Krise durch. In der Regel wollten meine Kollegen schnell wieder arbeiten. Es hat ihnen immer gut getan, in einem empathischen Umfeld Struktur zu erfahren.

Auch wenn man ein Unternehmen verlässt, kann die Trauer groß sein

Als feststand, dass ich einen meiner Lieblingsarbeitgeber verlassen muss, gab es auch sehr viel Trauer auf allen Seiten. Auch im Arbeitskontext habe ich das getan, was ich im Leben tue. Ich habe meinen letzten Tag dort vorbereitet, Übergaben geschrieben und gemacht, viel geredet, geklärt, organisiert, aufgeräumt, aussortiert. Ich habe alles so hinterlassen, dass es gut weitergehen kann – ohne mich. Mit Trauer und Tränen, Schmerz und Verlustgefühlen – teilweise immer noch, aber sehr geklärt. Ein Gewinn für alle.

Neu bei Bohana: Video-Talk mit Anne und den Gast-Autor:innen

Aufgrund meiner eigenen beruflichen Erfahrungen war mir unsere Themenwoche zu „Trauer am Arbeitsplatz“ von Anfang an sehr wichtig. Ich freue mich sehr darauf und auf die Gespräche, die ich mit den Gast-Autorinnen und Autoren zu ihren Texten führen darf. Die Video-Aufzeichnung mit Tipps und Impulsen zum heilsamen Umgang mit Trauer am Arbeitsplatz findet ihr abends im Blogbeitrag. Kommentiert gerne bei Fragen und Rückfragen. Teilt eure Erfahrungen mit uns und tragt dazu bei, dass Trauer auch im beruflichen Umfeld einen Raum bekommt.

Herzliche Grüße,

Anne

Termine und Themenübersicht zur Schwerpunktwoche

  • 21.09.2020 Thomas Achenbach: Kann ich wegen Trauer krankgeschrieben werden?
  • 22.09.2020 Dr. Franziska Offermann: Wenn Kollegen trauern…. Work-Life-Trauer-Balance: Selbstsorge ermöglicht Fürsorge
  • 23.09.2020 Astrid Bechter-Boss: Krisenprozessplan im Unternehmen
  • 24.09.2020 Christine Kempkes: Wenn der Tod Teil des Teams wird
  • 25.09.2020 Petra Sutor: Sternenkindereltern in Unternehmen
Anne Kriesel

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