Wir brauchen mehr Raum, mehr Begegnungen und Orte, an denen wir uns die wahren Geschichten erzählen

…und uns wirklich zuhören.

Wo bleiben wir mit unseren Geschichten über Trauer, Schmerz, Angst, wenn wir sie niemandem erzählen? Wir niemanden belasten möchten? Wenn niemand da ist, der aufmerksam zuhört?

Die schönen Geschichten sind in unserer Kultur immer willkommen, doch viele Geschichten handeln nicht von HappyEndings und Silverlinings. Die Erzählung des Lebens surft nicht immer auf der perfekten Welle. Trauer, Verlust, Schmerz sind Bestandteile des Lebens, ebenso wie Umbrüche, Krisen, stürmische Zeiten.

Eine Kultur, die häufig nur das Positive als gesellschaftsfähig ansieht, verkennt die Realität des Lebens

Weder ist ein dauerhafter Glückszustand realistisch noch überstehen wir Krisen, indem wir sie ignorieren oder unser Mindset verändern.

Das, was uns oft unangenehm ist, braucht Raum, gefühlt und erzählt zu werden. Und es braucht Zuhörer*innen, die das, was ist, annehmen und dem Drang widerstehen, das Traurige in etwas Gutes verwandeln zu wollen. Die das Erzählte anerkennen, akzeptieren. Keine Ratschläge erteilen, die Trauer und den Schmerz nicht kleinreden oder bagatellisieren.

Wir brauchen eine Erzählkultur, in der die Realität ausgesprochen darf

Nicht immer wird am Ende alles gut, nicht alles ergibt einen Sinn und die Zeit heilt nicht alle Wunden. Trauer, Wut, Angst und Schmerz müssen gelebt, gefühlt und verbalisiert werden dürfen, ohne dass Menschen mit Vorwürfen konfrontiert werden oder dem Zwang, das Positive an der Situation zu sehen.

Menschen, denen Krisen widerfahren, haben diese nicht im Universum bestellt. Schmerz und Trauer brauchen keine Lösung, keine Reparatur, müssen nicht glattgebügelt werden. Sie sind kein Fehler im System, einfach nur gesunde Reaktionen unserer Seele auf Krise, Verlust, Schicksalsschläge.

Es braucht Zuhörer*innen, die die Realität aushalten, ohne sie verändern zu wollen

Da, wo wir herausweinen, herauswüten, herausschreien dürfen, wo wir gehört und angenommen werden, fühlen wir uns gesehen und verstanden.

Wir brauchen eine Kultur, in der es selbstverständlich ist, all unser inneres Erleben mit an den gemeinsamen Tisch zu bringen. In der niemand ein Lächeln mitbringen muss, wenn gerade keines da ist. In der sich niemand für Tränen entschuldigt. In der die sogenannten „negativen“ Emotionen dieselbe Daseinsberechtigung haben wie die „positiven“.

Lasst uns einander einfach nur zuhören. Ohne Wertung, ohne verändern zu wollen. Einfach nur da sein, als Anker, Zuhörer*in, Begleiter*in, die annimmt, aushält, mitfühlt, versteht.

Nicht mehr, nicht weniger.

Über die Autorin

Tanja Hauschildt
Pädagogin, Mediatorin, Psychologische Beraterin und Freie Rednerin

Ich begleite Menschen in herausfordernden Zeiten, halte Trauerreden, unterstütze Zugehörige dabei, die Abschiedsfeier mit eigenen Wortbeiträgen zu gestalten und höre Menschen im Leben und am Lebensende zu, die ihre Geschichte(n) erzählen möchten.