Wie soll ich das Schaffen zu überleben?

Kein neues Jahr OHNE Dich!

Meine Trauerberaterin Miriam hatte einmal gesagt: „Physische Wunden brauchen einen Verband, seelische Wunden brauchen Verbundenheit.“ Ich halte sonst nicht viel von Sprüchen, aber das hat den Nagel auf den Kopf getroffen bzw. ging von meinem Kopf gleich direkt in Herz & Bauch!

Diese Verbundenheit mit meinem Sohn nach seinem Tod, wie auch schon zuvor mit meiner Mutter und meinem Vater nach deren Tod, habe ich als unentbehrlichen Schlüssel auf meinem Trauerweg erlebt. Und auch gleichermaßen als Kompass und Anker. Das Ich-kann-nicht-ohne-Dich-weiterleben war nicht nur ein Gefühl, sondern auch die Antwort auf so viele Fragen, die sich mir stellten – allen voran: Wie soll ich das Schaffen zu überleben?

Nur weil Du tot bist, höre ich ja nicht auf, Dich zu lieben

Da war es folgerichtig, dieses Gefühl nicht nur zu benennen, sondern genau darin auch eine Entscheidung wachsen zu lassen, denn ich muss ja auch nicht ohne Dich weiterleben, ich schaffe das nur mit Dir! Niemand kann mir sagen, wo Du jetzt bist, also kann auch niemand sagen, dass Du nicht mehr hier bist…

Irgendwie hat sich diese Entscheidung sehr befreiend angefühlt und passte haargenau zu meinem gefühlten Wissen. Der Entschluss kam, wie ein magischer Geistesblitz aus dem Bauch heraus – plötzlich hatte ich das erste Mal etwas Heilsames in diesem fürchterlichen Durcheinander. Nur weil Du tot bist, höre ich ja nicht auf, Dich zu lieben. Das kann und will und das muss ich auch nicht. Also: wer soll mir denn vorschreiben, dass ich jetzt ganz ohne Dich weiterleben soll – das Weiterleben an sich ist ja schon schwer genug, weil Du tot bist!

Verbundenheit

Und dieser Entschluss gab mir Ruhe und sogar manchmal auch Zu-Frieden-heit beim Trauern. Mit denen die wir lieben, haben wir eine Verbundenheit, die nicht zu trennen geht – ob sie nun leben oder tot sind. Und er befreite mich auch – von all dem Loslassen und Akzeptieren-Geschwafel, das sich so falsch anfühlte und mich so oft wütend machte.

Die Sehnsucht macht mich manchmal rasend und unruhig

Natürlich ist es dennoch nicht das Gleiche, ob Du den Schoko-Weihnachtsmann heißhungrig verschlingst oder ich ihn nun zu Dir auf’s Grab lege. Und natürlich rollen mir die Tränen schon im Rewe, wenn ich, wie immer, für euch alle drei Kinder Weihnachtsmänner kaufe, aber wie könnte ich denn nur zwei kaufen? Du bist und bleibst mein Sohn! Natürlich behältst Du für immer Deinen Stuhl und Dein Stullenbrett bei uns am Tisch. Natürlich spreche ich noch mit Dir und schimpfe auch. Und es wird immer einen Geburtstagskuchen geben. Und noch so viel mehr…

Und ja, natürlich ist das Leben-danach ein ständiger, schrecklicher Drahtseilakt mit dem Unfassbaren UND dem Un-an-fassbaren geliebten Menschen weiterzuleben. Die Sehnsucht macht mich manchmal rasend und unruhig. Das Vermissen zieht und zieht und dann löse ich mich wieder auf in einem Schwall aus Tränen. Das ist wohl Liebe. Ich vermute auch, nein, ich fühle, so wird es jetzt bleiben.

Trotzdem ist es mir so oft Trost, die Liebe und die Verbindung zu Dir weiterzuleben in diesem komischen Leben-danach. Das ist’s, was ich gut kann und mir gut tut, also mache ich es. Basta. Wer, bitte schön, sollte es mir auch verbieten?

Nun, an Deinem 3. Todestag sitze ich hier und schreibe diese Zeilen nieder.

Ein neues Jahr fängt an. Aber meine Zeitrechnung ist nach deinem Tod eine andere geworden. So viel hat sich relativiert, so viel ist unwichtig geworden. Eigentlich wie bei Deiner Geburt. Aber es wird kein neues Jahr ohne Dich geben. Wie soll das bitte gehen?

Über die Autorin

Nanni Denecke-Manthey
Tränenreich I Laden & Werkstatt für Trauernde & Tröstende

Ich bin Nanni Denecke-Manthey, lebe in Potsdam und habe hier im Herbst `23 das TRÄNENREICH eröffnet, meine Ladenwerkstatt für Trauernde & Tröstende. Seitdem helfe ich Trauernden passende Trost- und Erinnerungsstücke für sich zu finden, selbst anzufertigen oder anfertigen zu lassen.