Trauerreden für Fußballfans

von Kira Littwin

Dortmund Trauer

Überall hängen gerade Fahnen, die Europameisterschaft ist in vollem Gange. Wenn ich in eine Kneipe gehe, an der Kasse stehe oder bei Trauergesprächen sitze, oft ist Fußball gerade Thema. Ich persönlich kann mit Fußball nicht so viel anfangen, konnte ich noch nie. Aber als ich damals das erste Mal im Westfalenstadion auf der Südtribüne stand, ganz oben und unter mir die gelbe Wand mit 24000 Fans, die singen und ihre Mannschaft anfeuern, da hab ich sie gespürt, diese Magie, diese Energie. Wahnsinn.

Emotionen. Pure Emotionen

Und noch etwas habe ich gesehen: Freude, Wut, Traurigkeit, Hoffnung. Verzweiflung. Glück. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit. Letztes Jahr zum möglichen Meisterschaftswochenende ähnliches bei uns zu Hause. Aufregung, unruhiger Schlaf, Lieder werden mitgesungen. Eine Portion Spiritualität ist auch mit dabei. Angezogen wird das gleiche wie beim letzten Sieg und das Armband, welches schon immer getragen wurde. Auf dem Schal von 1990 ist der Pokalsieg von 1989 drauf.

Seit ich Trauerbegleiterin und Trauerrednerin bin, habe ich einen anderen Blick auf Fußball

Denn Stadionbesuche und gemeinsames Fußballgucken bieten mehr als bloße Unterhaltung. In einer Welt, die auf Leistung getrimmt ist, die das Höher-Schneller-Weiter- Prinzip immer noch erstrebenswert findet, bleibt oft zu wenig Zeit für die Gefühle. Gesellschaftlich ist es immer noch in vielen Bereichen nicht gern gesehen, wenn wir uns um unsere Psyche kümmern, den Gefühlen Raum geben.

Fußball bietet diesen Raum. Ein sicherer Ort, um all das rauszulassen, was raus möchte. Tränen dürfen fließen, wenn die Mannschaft verliert und niemand urteilt drüber. Vor Freude darf getanzt und sich in den Armen gelegen werden und niemand urteilt drüber. Der Zusammenhalt mit den anderen Fans, mit denen, die über Jahre und Jahrzehnte nebeneinander im Block stehen, ist groß, hilft über schwierige Situationen hinweg.

„Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“

Als Trauerrednerin im Ruhrpott begegnet mir das Thema Fußball oft. In Trauergesprächen erzählen die Angehörigen immer wieder von emotionalen Stadionbesuchen, von gemeinsamen Sonntagen auf dem Fußballplatz, vom Trainieren der Jugend. Die Urnen tragen Vereinslogos, die Deko wird in den Vereinsfarben gestaltet. Ich arbeite gerne mit Bildern und gestalte meine Reden mit Ritualen – immer individuell zum Menschen passend.

So sind in den Jahren natürlich auch ein paar Fußballreden zustande gekommen. Dann erzähle ich das Leben eines Menschen, indem ich Vergleiche zu den 17 offiziellen Fußballregeln ziehe, nutze Zitate berühmter Fußballer, um die Jenseitsbilder der Angehörigen aufzugreifen oder verwende Textzeilen verschiedenster Fangesänge, die ja im Stadion genutzt werden, um Verbundenheit zu signalisieren, Mut zu machen, anzufeuern und aufzubauen, um symbolisch das Leben des Verstorbenen zu begleiten. Nie steht dabei der Fußball im Mittelpunkt, immer der Mensch.

Die Liebe und Leidenschaft zum Sport als roter Faden bei der Trauerrede

Gut, dass ich einen leidenschaftlichen Fußballfan zu Hause habe, der Ideen für diese Reden mit mir durchspricht, mir die korrekte Bezeichnung für Fußballstadien gibt, mir erklärt, was denn ein richtiger 10er ist und, und, und. Den Rest erledigt Google. Wusstest du zum Beispiel, dass die Fangesänge des BVB mit Text zum Nachlesen im Internet zu finden sind? Mir sind auch Details wichtig. So stand ich am Rednerpult sowohl schon mal mit einem Schalke-Schal (was mehrere Gäste dazu ermutigte, ihren eigenen aus der Tasche zu holen und umzutun). Oder mit dem Dortmund-Schal meines Mannes vom Pokalfinale 1989, das zufällig eins der Spiele war, von dem der Verstorbene immer wieder erzählte. Ich trage natürlich kein blau bei einer BVB-Beerdigung und bei Schalkern keine gelben Ohrringe zum Schwarz. Klar, oder?

Fußball ist für viele ein Lebensthema

Früher habe ich mich noch über Fußball beschwert, habe es nicht verstanden, wie Menschen sich da so reinsteigern können. Heute, mit zehn Jahren Berufserfahrung und der Begleitung vieler Menschen, sehe ich das anders: Gerade hier im Ruhrgebiet gibt es so viele, für die Fußball nicht nur eine wichtige Konstante im Leben ist, sondern die durch die Liebe zum Sport immer wieder die Möglichkeit bekommen, ihre Gefühle zu zeigen. Fußball kann dabei helfen, den Alltag und die Sorgen einen Moment lang zu vergessen und tiefe Verbindungen in den dadurch entstandenen Freundschaften zu finden.

Fußball ist wichtig. Für so viele Menschen. Und weil ich Menschen bedürfnisorientiert in ihrer Trauer begleite – auch für mich. Nur halt anders als bei den Fans.

Über die Autorin

Kira Littwin
Trauerbegleiterin, Trauerrednerin, Abschiedsgestalterin und Ausbilderin. Mir liegt es sehr am Herzen, den Umgang mit Tod und Trauer nicht nur leichter zu machen und bunter zu gestalten, sondern auch zu helfen, handlungsfähiger zu werden.