Wenn das vertraute Leben auf einmal nicht mehr da ist, stehen wir dazwischen: Das Alte, Bekannte ist nicht mehr da, das Neue noch nicht. Wir stehen auf der Schwelle.
Schwellenzeiten sind Wandelzeiten, es sind Momente, in denen sich das Leben tiefgreifend zu ändern vermag. Der Auslöser kann der Tod sein, muss es aber nicht. Ein unerfüllter Kinderwunsch oder nicht in Erfüllung gegangener Lebenstraum, der Beginn der Wechseljahre, der Auszug der Kinder aus dem Elternhaus, eine Kündigung, eine Trennung, ein Umzug – all das kann eine Schwellenzeit initiieren. Es ist eine Zeit, in der kein Stein mehr auf dem anderen steht und das, was uns gestern wichtig erschien und am Herzen lag, oft keine Bedeutung mehr hat. Jetzt sind wir aufgefordert zu schauen: Was ist uns wirklich im Leben wichtig? Wer sind die Menschen, die jetzt für uns da sind? Auf welche Weise wollen wir in unserem Leben weitergehen?
Schwellenzeit klingt anders als Krise
Das Wort Schwellenzeit klingt anders als Krise. Krise hat für mich etwas Endgültiges, als würde ich vor einer Wand stehen. Schwellenzeit hingegen ist anders – es entstehen in mir Weite, Möglichkeiten und Raum. Das Gefühl, dazwischenzustehen, in einem noch unbekannten Land, das mich von einem Ort zum nächsten bringt. In der Schwellenzeit darf ich mir Zeit und Raum geben. Wie das Wort sagt – ich stehe auf der Schwelle, es gibt im Außen nichts zu tun. Mein Trauern wandelt mich, die Tränen, der Schmerz und das Bewusstsein des Abschieds, bringen mich automatisch einen Schritt weiter. Hierhin, wo ich noch keine Ahnung habe, was als nächstes kommt, aber wo ich annehmen kann, dass das Leben sich gerade so zeigt, wie es ist: Essenziell und oftmals sehr herausfordernd. Und ich fühle mich häufig roh, nackt und verletzlich.
Schwellenzeiten
Nicht-mehr und Noch-nicht.
Alte Weggefährtinnen des Lebens.
Immer wieder auftauchend, sich zeigend,
in den Schwellenzeiten. Fort und fort.
Sabrina Gundert
Zeit, um nach innen zu lauschen
Die Schwellenzeit ist eine Zeit, die der Jahreszeit des Winters zuzuordnen ist – der Innenschau, des Langsamseins und der Beziehung zu uns selbst. Wir finden keine Antworten im Außen und können die Dinge auch nicht schnellermachen, als sie geschehen und sich entwickeln in dieser Zeit. Smalltalk interessiert uns meist nicht und die Regungen in unserem Inneren überdecken alles. Wir können nach innen gehen und lauschen auf das, was ist. Ohne den Anspruch zu haben, etwas wissen zu müssen oder schon zu ahnen, wo es weitergeht. Ohne den Anspruch, leisten zu müssen, sondern einfach zu sein.
Ich weiß, das ist schwierig in dieser Zeit, weil es vielleicht so viel zu tun gibt oder so vieles zu erledigen gilt. Und doch wird der Moment kommen, in dem wir spüren, dass wir nichts im Außen tun können. In dem wir aufgerufen sind, das Kämpfen niederzulegen und anzuerkennen, was ist: Ja, ich möchte die Dinge nicht so haben, wie sie sind. Ja, ich möchte mein altes Leben zurück – oder endlich im Neuen ankommen. Ja, ich stehe dazwischen und ich habe keine Ahnung, wie mein Leben weitergehen soll. Ja, so ist es.
Ein Wort dafür, wie ich mich fühle
Viele Menschen haben mir gesagt, dass das Wort Schwellenzeit sehr hilfreich für sie ist. Weil sie auf einmal nicht mehr das Gefühl haben, dass irgendetwas mit ihnen falsch ist oder sie komisch sind. Weil sie jetzt benennen können, was mit ihnen los ist.
Schwellenzeiten begegnen uns allen immer wieder im Leben. Indem wir lernen, dass sie Teil und wesentlicher Bestandteil des Lebens sind, können wir zu Frieden mit ihnen kommen. Wir müssen sie nicht ablehnen, müssen nicht gegen sie ankämpfen. Wir können sie als das nehmen, was sie sind: ein tiefgreifender, oftmals sehr herausfordernder und wandelnder Teil unseres Lebens.
Über die Autorin
Sabrina Gundert begleitet Menschen als Autorin und Coach dabei, ihren eigenen Herzensweg zu finden und zu gehen und an den Schwellen ihres Lebens klare und für sie stimmige Entscheidungen zu treffen. Ihr neues Buch „Schwellenzeiten – Wandelzeiten: Kraftvoll durch Lebenskrisen gehen“ erscheint am 16. September 2024.